Gemäß Art. 23 Abs. 4 Satz 1 DE-VG sind, sofern nicht Art. 9 Abs. 1, Art. 11 Abs. 4 oder Art. 12 Abs. 4 DE-VG anzuwenden ist, Zinsen, Lizenzgebühren und andere Entgelte, die ein Unternehmen eines Vertragsstaats an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person zahlt, bei der Ermittlung der steuerpflichtigen Gewinne dieses Unternehmens unter den gleichen Bedingungen wie Zahlungen an eine im erstgenannten Staat ansässige Person zum Abzug zuzulassen. Die im Rahmen der UTPR möglicherweise vorzunehmende Abzugsbeschränkung könnte einen Verstoß gegen diese Bestimmung darstellen.
7.2.7.2.1 Bisherige Einordnung durch Blueprint und Literatur
Der Blueprint hat einen Verstoß der UTPR gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 4 OECD-MA abgelehnt.
103 Im Falle des darin noch enthaltenen ersten Allokationsschlüssels könne die danach vorzunehmende Abzugsbeschränkung zwar nur grenzüberschreitende Sachverhalte erfassen,
104 jedoch knüpfe diese nicht unmittelbar an die Ansässigkeit des Zahlungsempfängers an, sondern an die Einordnung des Staates des Zahlungsempfängers als hoch oder niedrig besteuernd aufgrund der staatenbezogenen Konzern-ETR im relevanten Zeitraum.
105 Im Falle des zweiten Allokationsschlüssels ergebe sich die Ablehnung einer relevanten Ungleichbehandlung dagegen schon daraus, dass dieser sowohl bei inländischen als auch bei grenzüberschreitenden Zahlungen an andere Konzerneinheiten eine Abzugsbeschränkung herbeiführe, da er sich allein am konzerninternen Nettoaufwand des zahlenden Unternehmens orientiere.
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In der Literatur wurde im Falle des ersten Allokationsschlüssels hingegen eine Diskriminierung bejaht, da Art. 24 Abs. 4 OECD-MA lediglich auf Situationen abstelle, in denen die Zahlung an einen Gebietsfremden erfolge, und zwar unabhängig davon, wie der entsprechende Gebietsansässige besteuert werde.
107 Andere Stimmen leiteten aus den bestehenden Auslegungsmöglichkeiten zumindest ein hinreichendes Maß an Rechtsunsicherheit in dieser Frage ab, die eine Klarstellung im Rahmen des OECD-MK oder eine Anpassung der einzelnen DBA wünschenswert mache.
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7.2.7.2.2 Einordnung aus deutscher Perspektive
Die Modellregeln zur UTPR haben sich scheinbar von den bisherigen Allokationsschlüsseln gelöst, beschreiben derzeit aber nur die Aufteilung der insgesamt bei einem Konzern i. R. d. UTPR zu erhebenden Top-up Tax zwischen den einzelnen UTPR-Staaten. Welchen Anteil daran die einzelne UTPR-steuerpflichtige Konzerneinheit zu tragen hat und bei welchen Zahlungen das Abzugsverbot greifen soll, ist dagegen nicht geregelt. Denkbar ist hier vielerlei.
Unter anderem könnte für die Aufteilung der UTPR Top-up Tax unter den einzelnen UTPR-steuerpflichtigen Konzerneinheiten eines UTPR-Staates derselbe Verteilungsschlüssel verwendet werden wie bei der Allokation zwischen den einzelnen Staaten. Es käme also auf die Anzahl der Arbeitnehmer und die Buchwerte der Sachanlagen jeder einzelnen UTPR-steuerpflichtigen Konzerneinheit an. Sodann könnte die einer UTPR-steuerpflichtigen Konzerneinheit zugewiesene Top-up Tax entweder – wie schon im Blueprint vorgesehen – lediglich bei konzerninternen Zahlungsvorgängen
109 oder aber auch bei Zahlungen der Konzerneinheit an Dritte über ein Abzugsverbot indirekt erhoben werden.
110 In beiden Fällen wäre – außer bei Beschränkung des Abzugsverbotes auf grenzüberschreitende Zahlungen – keine Diskriminierung i. S. d. Art. 23 Abs. 4 DE-VG gegeben, da lediglich der Umstand einer vorgenommenen Zahlung die Abzugsbeschränkung bedingen würde.
Anders könnte sich dies darstellen, sollte für die UTPR doch noch auf die beiden Allokationsschlüssel des Blueprints zurückgegriffen werden. Denn die in den Modellregeln enthaltenen Vorgaben zur Aufteilung der insgesamt bei einem Konzern i. R. d. UTPR zu erhebenden Top-up Tax zwischen den einzelnen UTPR-Staaten schließt diese Vorgehensweise nicht aus. Demnach könnten zunächst Direktzahlungen der UTPR-Steuerpflichtigen an niedrig besteuerte Konzerneinheiten der Abzugsbeschränkung unterliegen, um die einem UTPR-Staat zugewiesene Top-up Tax zu erheben (Erster Allokationsschlüssel). Der danach noch nicht verteilte Top-up Tax-Betrag könnte anschließend entsprechend dem Verhältnis des konzerninternen Nettoaufwands der einzelnen UTPR-Steuerpflichtigen in einem Staat allokiert und erhoben werden (Zweiter Allokationsschlüssel). Unter diesen Umständen käme eine Diskriminierung i. S. d. Art. 23 Abs. 4 DE-VG deutlich eher in Betracht. Jedenfalls die Art. 9 Abs. 1, Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 4 DE-VG stehen in diesem Falle einer Anwendung des Art. 23 Abs. 4 Satz 1 DE-VG grundsätzlich nicht entgegen. Das Diskriminierungsverbot findet in diesen Fällen lediglich auf den angemessenen Teil der Zahlungen Anwendung,
111 was in der UTPR bereits berücksichtigt wird. Generell sind Art. 23 Abs. 4 Satz 1 DE-VG entsprechende Klauseln häufig, aber längst nicht in allen deutschen DBA vorzufinden.
112 Soweit sie vorhanden sind, wäre bei der UTPR im soeben aufgezeigten Sinne tatsächlich fraglich, ob diese entgeltliche Zahlungen an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person „unter den gleichen Bedingungen“ zum Abzug zulässt wie entsprechende innerstaatlich vorgenommene Zahlungen. Das verbotene Unterscheidungskriterium ist die Ansässigkeit des Zahlungsempfängers. Somit wäre eine Diskriminierung in jedem Falle zu bejahen, falls der Anwendungsbereich der UTPR wie schon bei der IIR generell lediglich auf grenzüberschreitende Sachverhalte begrenzt wäre und ein Abzugsverbot tatbestandlich Zahlungen an nichtansässige Konzerneinheiten voraussetzen würde.
113 Von einem solchen Regeldesign ist allerdings nicht auszugehen.
Stattdessen käme es auf die Frage an, ob eine Klausel i. S. d. Art. 23 Abs. 4 DE-VG auch indirekten oder versteckten Diskriminierungen entgegensteht. Diese Frage wird zumindest in der deutschen Literatur nicht einheitlich beantwortet. So wird teils vertreten, dass ein Schutz vor Ungleichbehandlungen durch Vorschriften, die nicht auf die Ansässigkeit des Vergütungsempfängers abstellen, nicht bestehe.
114 Aus diesem Grund sei etwa bei der Lizenzschranke, die eine Beschränkung des Betriebsausgabenabzugs nur im Falle der Niedrigbesteuerung im Empfängerstaat und eben nicht bei fehlender Ansässigkeit im Staat des Lizenznehmers vorsieht, gar keine relevante Ungleichbehandlung festzustellen, sodass es auch nicht des darin offen formulierten Treaty Overrides bedurft hätte.
115 Eine Differenzierung nach anderen Merkmalen als dem der Ansässigkeit wäre demnach auch im Rahmen der UTPR zulässig und würde keine verbotene Ungleichbehandlung begründen.
Rust differenziert hingegen weiter danach, ob bei unterstellter Inlandsansässigkeit des Zahlungsempfängers – und ansonsten identischer Sachverhaltslage – gleichzeitig auch die Benachteiligung aufgrund des anderen Merkmals entfallen würde.
116 Dieser Sichtweise folgend wäre bezüglich des ersten Allokationsschlüssels festzuhalten, dass bei unterstellter Inlandsansässigkeit des Zahlungsempfängers – und ansonsten identischer Sachverhaltslage – die Benachteiligung (Abzugsbeschränkung) aufgrund des anderen Merkmals (direkte Zahlung an niedrig besteuerte Konzerneinheit) nicht immer, aber zumindest regelmäßig entfallen würde, da ein Konzern in Deutschland wohl nur in seltenen Fällen eine länderbezogene ETR unterhalb des Mindeststeuersatzes erreichen wird. Soll dieses typische Bild ausreichen, wäre zumindest bei DBA, die mit einem Staat geschlossen werden, in dem etwa aufgrund des niedrigen Körperschaftsteuersatzes immer oder fast immer eine Niedrigbesteuerung vorliegt, von einer Diskriminierung durch die UTPR auszugehen. Der zweite Allokationsschlüssel würde dagegen keine verbotene Diskriminierung begründen, da die UTPR in diesem Fall nur vom konzerninternen Nettoaufwand des UTPR-Steuerpflichtigen abhängt und sich dieser auch bei hypothetischer Inlandsansässigkeit nicht verändern wird, sodass eine Abzugsbeschränkung dennoch vorgenommen würde.
Nach
Bruns ist bei der aufgeworfenen Frage zwischen mittelbaren und verdeckten Formen der Diskriminierung zu unterscheiden.
117 Die verdeckte Diskriminierung, also die Anknüpfung an einen das „verbotene“ Differenzierungsmerkmal umschreibenden „erlaubten“ Begriff, sei demnach ebenso untersagt wie eine offene, direkte Ungleichbehandlung.
118 Versteht man diese Auffassung in dem Sinne, dass erlaubtes und verbotenes Unterscheidungsmerkmal stets miteinander einhergehen müssen, ist eine verdeckte Diskriminierung zu verneinen. Denn die Nichtansässigkeit in Deutschland tritt keinesfalls immer zusammen mit der Niedrigbesteuerung der zahlungsempfangenden Konzerneinheit auf. Auch besteht kein Gleichlauf zwischen konzerninternem Nettoaufwand einer Konzerneinheit und deren Ansässigkeit, sodass nach diesem Verständnis des Art. 23 Abs. 4 Satz 1 DE-VG eine Ungleichbehandlung abzulehnen wäre.
Damit zeigt sich in der deutschen Literatur ein hinsichtlich des ersten Allokationsschlüssels nicht ganz einheitliches Bild. Art. 24 Abs. 1 OECD-MK merkt diesbezüglich an, dass der Diskriminierungsbegriff nicht übermäßig ausgedehnt werden sollte, um auch indirekte Diskriminierung zu erfassen, da die Nichtdiskriminierungsbestimmungen des Artikels versuchten, ein Gleichgewicht zwischen dem Erfordernis, ungerechtfertigte Diskriminierung zu verhindern, und der Notwendigkeit, legitime Unterschiede in der Besteuerung zu berücksichtigen, herzustellen. Dies spricht dafür, dass eine solche indirekte (oder verdeckte) Ungleichbehandlung nicht generell untersagt ist, sondern in gewissem Ausmaße möglich sein kann. Die Forderung nach einer nicht übermäßigen Ausdehnung legt eine zurückhaltende Auslegung nahe, die im Falle einer nur typischerweise auftretenden Benachteiligung die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 23 Abs. 4 Satz 1 DE-VG eher ausschließt. Sofern eine verdeckte Diskriminierung dennoch anerkannt und auch im Falle der UTPR bejaht wird, kann dieser im Übrigen wieder Art. 28 Abs. 1 Buchst. a) DE-VG entgegengehalten werden.
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