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2022 | Buch

Widerstand in Organisationen • Organisationen im Widerstand - Revisited

Plattformen, Edupunks und die Free Crowd

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Über dieses Buch

Die hier vorgestellten Alternativen zur traditionellen Hierarchie, die Anfang des Jahrtausends zum ersten Mal die Bühne betraten und zunächst in der Open-Source-Bewegung und dann auf kommerziellen Crowdplattformen ihren Siegeszug antraten, haben sich im Laufe kurzer Zeit verändert. Konnte man Anfang des Jahrtausends noch hoffen, dass ein Wirtschaftssektor entsteht, der hierarchieärmer, ethischer und partizipativer ist, so musste man nach der Finanzkrise feststellen, dass derartige Organisationsformen oft Teil eines pulsierenden Kapitalismus waren, welcher auch fremdartige Konzepte sporadisch nutzt, um auf Krisen zu reagieren. Auch von der Idee, dass die Digitalisierung die Demokratie beflügeln könnte, ist wenig übriggeblieben. Allerdings haben die nun entstandenen technologischen Plattformen einen massiven Nebeneffekt. Die hier gesammelten Daten gaben der Automatisierung einen neuen Schub. Die Flucht aus der Hierarchie, die in den ersten beiden Ausgaben skizziert wurde, wird also weiter gehen. Es sind nun die Konturen technologiebasierter Communities erkennbar, welche Heimat einer „Freien Crowd“ sind und ergänzend zu den bestehenden Nationen mehr Gewicht erlangen können.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Einführung
Zusammenfassung
Die Idee für dieses Buch entstand aufgrund eines beunruhigenden Gefühls, das auch in unseren erratischen Zeiten begründet ist: Die herkömmlichen Wirtschafts- und Organisationsmodelle erklären immer weniger und prognostizieren erst recht nicht mehr viel. Ein Grund für diese Unzulänglichkeit ist, dass es keinen umfassenden, theoriegeleiteten Konnex zwischen den Veränderungen in der Organisation menschlicher Arbeit und Interessen und der ökonomischen sowie politischen Entwicklung gibt. Und das, obwohl viele Beschreibungen der Wirtschaftssysteme seit Adam Smith aus dem Blickwinkel der Arbeitsorganisation heraus entstanden sind. Ein herausragendes Merkmal neuer digitale Zusammenarbeitsmodelle, welche hier vorgestellt werden,  ist nun das Entstehen von Peer-to-Peer-Beziehungen. Diese Organisationsform, die durch die Prinzipien der freiwilligen Zusammenarbeit von „Produzenten“ getragen wird, ist nicht zuletzt deswegen so produktiv und innovativ, weil sie die authentische Motivation ihrer Mitglieder verkörpert. Entstehen können diese Modelle, weil ein erfolgreicher Kapitalismus einen Überschuss an Skills erzeugt – und durch die Automatisierung noch weiter erzeugen wird. Und weil dieser Surplus von Hierarchien nicht abgerufen bzw. benötigt wird, steht er für andere Aktivitäten zur Verfügung.  Widerstand, verstanden als Möglichkeit des Individuums, seine persönlichen Ziele und Ambitionen innerhalb (und außerhalb) von traditionellen Hierarchien etwa auf diesen neuen Modellen durchzusetzen, ist somit eine innovative organisatorische Lösung und nicht nur eine Strategie gegen eine vorherrschende Ordnung.
Ayad Al-Ani
Kapitel 2. Die Organisation von Individualität
Zusammenfassung
Die Feststellung, dass Organisationen die Gesellschaft dominieren, mag uns heute nur allzu einsichtig erscheinen. Lange wurden diese als quasi monolithische Konzepte betrachtet, die dem Willen einer nicht näher bestimmten Führung gehorchen. Blickt man über die Schulter zurück auf die wirtschaftswissenschaftlichen und auch politologischen Konzepte seit der industriellen Revolution, erkennt man, dass sich erst in den letzten 30 bis 40 Jahren verstärkt eine Perspektive entwickelt hat, aus der heraus die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Ausgestaltung von Freiräumen in Organisationen erkannt und umzusetzen versucht wird. Mit diesen Sichtweisen entstanden neue Denkweisen und Konzepte, die den ansteigenden Anforderungen der Individualität gerecht werden sollten. Hier soll zunächst untersucht werden, aus welcher Perspektive die verschiedenen Modelle und Schulen das Thema Gegenmacht bzw. Widerstand in Organisationen betrachten. Des Weiteren wird abgeleitet, wie diese Freiräume bewertet und legitimiert werden bzw. welche ausgewählten Organisationsformen und Management-Konzepte zur Steuerung der Individualität vorgeschlagen werden.
Ayad Al-Ani
Kapitel 3. Umsetzung individueller Ziele in Organisationen
Zusammenfassung
Wie in den vorangegangenen Kapiteln aufgezeigt wurde, findet das Individuum mit seinen Zielen in Organisationen keine einfache Heimat. Widerstand im Sinne der Durchsetzung eigener Ideen und Ziele ist in der Regel nicht ohne weiteres und für jeden vorgesehen. Dieses Problem wird im traditionellen Modell umgangen, weil ein Gleichgewichtszustand angenommen wird, in dem die Ziele aller mehr oder weniger deckungsgleich sind. Allenfalls würden unzufriedene Mitglieder ja abwandern. Hierarchische Organisationen versuchen diesen Zustand zu fördern, indem zielgerichtet nur bestimmte, kompatible Individuen zugelassen werden und Mitarbeitende in die vorgegebenen Rollendefinitionen und Karrierepfade eingepasst werden. Gleichzeitig muss dann – trotz dieser Fremdbestimmung und immer nur teilweisen Nutzung der Interessen und Motivation des Mitarbeiters – der eigene Antrieb zur Erledigung seiner Aufgaben gefördert werden, da ansonsten zu hohe Transaktionskosten bei der Anleitung und Überwachung entstehen würden. Die hierarchische Organisation und ihre beschreibenden Modelle sind nun offensichtlich an eine Grenze der Verarbeitung von Individualität gestoßen. Gerade die Vielzahl an zu integrierenden motivgetriebenen Individualitäten, die sich entlang von Teilfunktionalitäten und Matrixfeldern einer Organisation materialisieren können, bleibt eine Herausforderung. Zwar funktioniert das Hierarchiemodell nur, weil es eine (mikropolitische) Interaktion zwischen den Organisationsmitgliedern gibt, diese Art der Aushandlung bleibt aber allzu oft unsichtbar oder im Inoffiziellen und muss dort auch bleiben. Diese methodischen und praktischen Begrenzungen tragen zu der Befürchtung bei, dass ein Mehr an Individualität und Widerstand nicht erfasst und verarbeitet werden kann.
Ayad Al-Ani
Kapitel 4. Plattformen als dominante Organisationsform
Zusammenfassung
Auf der Suche nach einem neuen Konzept der Organisation von Individualität überschreiten wir nun immer öfter die Grenzen der Organisation im herkömmlichen Sinne. Alle diese neuen Elemente der wirtschaftlichen und – wie wir sehen werden – politischen Organisationen kreisen um die Themen der Vernetzung motivierter Teilnehmer, die ihre oft brachliegenden Fähigkeiten besser einsetzen können. Die Nutzung dieser Potenziale ist notwendig, weil die neuen Herausforderungen des Marktes von den Ressourcen der traditionellen Organisation allein nicht bewältigt werden können. Diese Herausforderungen rufen nach der Integration von Skills jenseits der Organisationsgrenzen, und nach Kooperationsmodellen, Plattformen, die diese Einbindung ermöglichen. Durch diese Integration kommt es auch zu einer Verschiebung von Macht – weg von den etablierten Managementstrukturen innerhalb der Organisationen und hin zu mehr Einflussmöglichkeiten und Selbststeuerung des Individuums. Das Widerstandsthema – so die anfänglichen Kommentare – verwandelt sich so von einer Kraft, die ihre Ziele gegenüber oftmals starren Organisationsformalitäten und dominanten Top-down-Zielen durchsetzen muss, zu einem Programm, das Neues schafft und daraus auch Selbstverwirklichung ableiten kann.
Ayad Al-Ani
Kapitel 5. Freie Produzenten: Die neuen Organisationsformen der Wirtschaft
Zusammenfassung
In den letzten Kapiteln wurde skizziert, wie virtuelle Plattformen die hierarchischen Organisationsmodelle transformieren können, um den Anforderungen der Pull-Ökonomie gerecht zu werden. Wir müssen uns nun einem sozio-ökonomischen und wohl auch politischem Phänomen zuwenden, das diese Entwicklungen auslöste, ergänzte, vorantrieb sowie um eine ganz neue produktive Beziehung anreichert, die in dieser Art und in diesem Ausmaß einzigartig und zudem historisch neuartig ist: Das freie Individuum im Netz, welches oftmals aus der traditionellen Hierarchie floh, seine freie Zeit, Motivation und Commons (Zeit, Wissen, Kultur, Computer, Infrastruktur etc.) verwendete, um allein oder mit anderen freien Produzenten produktiv zu sein, wurde zur zentralen Figur und treibenden Kraft neuer Kooperationsmöglichkeiten. Wir werden feststellen, dass die beschriebenen Plattformprinzipien von diesen freien Produzenten  zunächst außerhalb der Marktorganisation verwendet wurden; um die Freiheit zu nutzen, innovative und produktive Kooperationsmöglichkeiten jenseits der Hierarchie zu schaffen. 
Ayad Al-Ani
Kapitel 6. Spuren der Kooptation und des Widerstandes
Zusammenfassung
Die in den letzten Jahren immer augenscheinlicher gewordene Innovations- und Produktivitätskraft von Peer-to-Peer-Modellen, die über Plattformen agieren, hat mittlerweile auch für Unternehmen immer mehr an Bedeutung gewonnen.  Denn diese sind auf der Suche nach genau jener Innovationskraft, die sich in der Hierarchie nicht mehr bewerkstelligen lässt. Zudem verspricht die Ausnutzung des kognitiven Überschusses eine Anzapfung eines Potenzials, das für die notorisch dem Kostendruck unterliegenden Unternehmen zu günstigen Konditionen möglich erscheint. Mit anderen Worten: Die widersprüchliche Strategie des gleichzeitigen Explore (Innovationen) als auch des Exploit (Kostenmanagement) scheint nun möglich. Und so ist es nicht überraschend, dass die Kapazitäten der Crowd bzw. Peers in die Wertschöpfungskette über verschiedene Plattformtypen Einzug hält. Nicht nur das, Plattformen der Peers werden nun auch kommerzialisiert und treten als Konkurrenten der klassischen Unternehmung auf. Damit steht die P2P-Ökonomie allerdings vor einem grundlegenden Wandel: von der Sharing- zur Rental-Ökonomie.
Ayad Al-Ani
Kapitel 7. Neue politische Organisationen und Sphären
Zusammenfassung
Wie wir bei der Beschreibung der Hierarchie als Steuerungsinstrument menschlicher Arbeitsleistung im Kapitalismus bereits diskutiert haben, ist die allumfassende Durchdringung des Systems durch die hierarchische und arbeitsteilige Arbeit ein besonderes Merkmal. Es gelang dem Kapitalismus dann auch relativ mühelos, die Peer-to-Peer-Bewegung im Bereich der Arbeitsorganisation und Unternehmung zu kooptieren, und – wie wir noch sehen werden – auch gewisse Elemente im politischen Bereich der Bewegung zu entschärfen und für sich zu nutzen. So macht es Sinn, die Innovationsprojekte im politischen System, so wie sie von P2P-ähnlichen Bewegungen in einem spezifischen historischen Setting angestoßen wurden (Globalisierung, Finanzkrise, Arabischer Frühling …) zu analysieren und zu verstehen, welche Teile vom offiziellen System akzeptiert und welche abgewiesen wurden. Wir werden weiters spekulieren können, wie die hier beschriebenen Innovationen in einem dann durch die Datenökonomie und Automatisierung veränderten Umfeld die Zukunft prägen können. Denn: Die Peers der P2P-Bewegungen mögen zwar nicht einen eigenständigen Sektor geschaffen haben. Indem aber Mitarbeiter des traditionellen Unternehmens zunehmend als externe und interne Crowdworker quasi zu kommerzialisierten Peers umfirmiert werden, diese sich neue Arbeitsformen auch außerhalb der Hierarchie suchen (müssen) und hierfür auch neue politische Modelle benötigt werden, erlangt P2P sowohl im wirtschaftlichen als auch politischen Bereich eine neue Relevanz. In diesem Sinne ist P2P dann aber kein widerständiges Konzept mehr, sondern beschreibt einen neuen Zustand des Kapitalismus selbst, welcher dank der Automatisierung weniger menschliche Arbeitskraft benötigt, wo Individuen sich neu organisieren müssen und hierbei auf diese individualisierten Konzepte zurückgreifen können.
Ayad Al-Ani
Kapitel 8. Der Staat und neue politische Organisationen: Erwartungen und Gegenreaktionen
Zusammenfassung
Die Peer-to-Peer-Organisationen sind vor allem Organisationen der Aktion. Sie stammten ursprünglich aus dem Bereich der Ökonomie und waren getrieben vom brachliegenden intellektuellen Surplus der Wissensarbeiter, der sich gleich einer stillen, aber tatendurstigen Reservearmee mobilisiert und entäußert. Ähnlich wie bei der Beschreibung der Situation im Wirtschaftssektor, bei der durch den Hyperwettbewerb gestresste Unternehmen die Fähigkeiten zur Innovation kaum mehr aufbringen konnten, traf P2P auch im Politischen auf eine traditionelle Struktur, die durch den Neoliberalismus viel an Fähigkeiten und Gestaltungsmöglichkeiten eingebüßt hatte. War die Zurücknahme des Staates in Zeiten der neoliberalen Ära erwünscht, so zeigt sich etwa in der Globalisierungsanpassung, Finanzwesenreform, Technologie- und Umweltpolitik das Dilemma des nachfolgenden, oft nur mehr reaktiven Staates, der die Entwicklungen der Märkte kaum mehr in ordnungspolitische Bahnen lenken, erst recht kaum mehr innovative Wege aus der Situation aufzeigen kann. Unter solchen Rahmenbedingungen war auch eine Weiterentwicklung des politischen Systems aus sich heraus schwierig. So lag die Frage auf der Hand, welche Gruppierung zu einer solchen Veränderung in der Lage ist. Als einzig wirkliche neue Kraft war die P2P-Organisationsform zumindest theoretisch in der Lage, Kräfte zu bündeln, Aktionen zu setzen und Optionen anzubieten, welche die traditionellen politischen Kräfte allein wahrscheinlich kaum mehr aufbringen konnten. Allerdings konnten die Erwartungen an diese P2P-Organisationen und ihre Fähigkeit zur Umgestaltung der traditionellen politischen Institutionen nicht erfüllt werden.
Ayad Al-Ani
Kapitel 9. Umbrüche I: Universitätsbildung
Education matters, degrees don‘t?
Zusammenfassung
Der vereinfachte Zugang zu Bildung ist ein wesentlicher Hebel, welcher individualisierte Organisationsformen ermöglicht. Nur wenn Bildungsinhalte für das Individuum einfach erreichbar sind, kann es sich auf einen Karrierepfad einlassen, welcher seinen Interessen und Motivationen entspricht, aber zugleich auch erratischer und so schwieriger planbar ist. Und nur mit diesem Zugang ist so etwas wie Widerstand gegenüber hierarchischen Strukturen überhaupt denkbar. Es ist deshalb kein Zufall, dass zeitgleich mit dem Aufkommen von neuen Organisationsmodellen auch neue Bildungsformen entstanden. Diese konnten nun ebenfalls Technologien und Plattformen nutzen, um Lerninhalte jenseits der traditionellen Organisationen zu entwickeln und dem Lernenden zugänglich zu machen. Die Behandlung der digitalen Bildung als Technologieprojekt erwies sich jedoch als Nachteil: Die vorfindbaren klassen- und schichtbezogenen Unterschiede, welche im Prinzip überwunden oder abgeschwächt hätten werden können, führten nur zu oberflächlich ‚digitalisierten‘ traditionellen Lösungen. Nachdem sich ein Peer-to-Peer-Sektor nicht durchsetzen konnte, blieb auch seitens der P2P-Bewegung eine Stärkung der Rolle des Edupunks aus. Nichtsdestotrotz dürften nun Unternehmen, deren Belegschaft sich mit automatisierten Prozessen und mit veränderten Rollen und Profilen auseinandersetzen muss, zu einer Transformation der Bildung drängen: Es müssen lebenslange Lernpfade etabliert, ein Umlernen auf neue Arbeitsweisen schnell und im großen Stil ermöglicht werden.
Ayad Al-Ani
Kapitel 10. Umbrüche II: Polyphoner Widerstand
Lernen von den Künsten
Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag untersucht den Begriff digitaler Widerstand im Kontext künstlerischer Praktiken. Dabei zeigt sich, dass zeitgenössische künstlerische Ansätze mit kommunikativen Überraschungen arbeiten. Sie setzen auf eine Polyphonie von Stimmen und Positionen. Statt bloßem Protest werden Wahrnehmungsangebote formuliert, die erst durch den Dialog mit Rezipient:innen ihre Wirkungskraft entfalten. Dieser polyphone Widerstandsansatz wird als Prinzip in Internet-Communities und Peer-to-Peer-Kommunikationen wiederentdeckt und als übertragbares Prinzip beschrieben.
Ayad Al-Ani, Gernot Wolfram
Kapitel 11. Umbrüche III: Sharing-Plattformen in der Mobilität
Von neuen Chancen und Risiken in der Gesellschaft
Zusammenfassung
Im Bereich der Mobilität eröffnet die Ökonomie des Teilens gleichzeitig flexible und individuelle Möglichkeiten der Fortbewegung unter bestmöglicher Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Man ist mobil, auch ohne Eigentum. Das bisherige Mobilitätsportfolio kann individuell nach eigenen Vorlieben erweitert werden. Es lässt sich Fahrrad fahren, ohne ein eigenes Fahrrad pflegen und warten zu müssen, Scooter fahren, ohne sich Sorgen um ein geschütztes Abstellen zu machen, und ein Auto nur dann nutzen, wenn gerade eines benötigt wird, ohne Geld für einen Parkplatz auszugeben. Die neue Welt der geteilten Mobilität bietet gefühlt für jeden Bedarf eine Option. Eine schöne neue Welt des Teilens? Die Zahl der kritischen Stimmen steigt. Von der ursprünglichen Vision einer Sharing Economy, die als Vorbild für eine neue Art von sozialem Wirtschaften und als Kooperationskultur begann, sei nur wenig geblieben. Die ganz und gar auf Gewinn ausgelegten Geschäftsmodelle und die enorme Machtansammlung einiger Plattformen unter dem Deckmantel der Sharing Economy werden zunehmend infrage gestellt.
Ayad Al-Ani, Nari Kahle
Kapitel 12. Umbrüche IV: Konfliktantizipation und -auflösung durch Plattformen   
Zusammenfassung
Die Digitalisierung verändert die Art und Weise, wie Menschen miteinander kooperieren, und betrifft deshalb mehr oder weniger alle Organisationsformen und auch den Nationalstaat selbst. Sicherheitsfunktionen werden von diesen Veränderungen nicht ausgenommen sein. So muss es auch nicht verwundern, dass die Diskussion über die digitale Transformation von Sicherheitsinstitutionen in letzter Zeit an Geschwindigkeit gewinnt. Vielfach fokussieren sich diese Betrachtungen allerdings auf ein Weiterdenken von Waffensystemen und weniger auf die Art und Weise, Konflikte frühzeitig zu erkennen und aufzulösen. Gerade das bereits diskutierte Plattformkonzept kann nun in diesem Kontext eingeführt werden und verspricht ein durchaus radikales Neudenken von Sicherheit und Verteidigung. Verteidigungsplattformen ermöglichen Fähigkeiten, welche Konflikte antizipieren und auch Kapazitäten zur Auflösung der zugrunde liegenden Ursachen.
Ayad Al-Ani
Kapitel 13. Die freie Crowd und Peak-Hierarchie
Zusammenfassung
Wir sind nun in der Lage zu evaluieren, ob neue Kooperationsformen in Wirtschaft und Politik tatsächlich zu neuen Arbeits- und Lebensweisen führen können, oder nur zu einer Fortführung der alten Muster in technologisch neuen Ausdrucksformen. Ihr Beharrungsvermögen, ihre Leistungs- und Anpassungsfähigkeit sowie ihre fast universelle Durchdringung lassen eine Überwindung der traditionellen Lösungen durch eine Bewegung von außen tatsächlich als schwer möglich erscheinen. Daher kam es bisher eher zu einer Art Symbiose zwischen den alten und neuen Organisationsformen, in der die Hierarchie neue Konzepte aufgreift, um ihre Effizienz und Innovationsfähigkeit zu erhöhen – ohne hierbei fundamentale Paradigmen zu opfern. Je erfolgreicher das bestehende System aber ist, sich beständig weiter automatisiert und algorithmisiert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der dann wachsende und ‚ungebrauchte‘ Surplus die Multitude befähigt, motiviert oder vielleicht sogar zwingt, neue Strukturen zu schaffen. Keine politische Bewegung, sondern vielmehr die Konsequenzen von kommerzieller Plattformarbeit und Automatisierung der Unternehmen führen nun dazu, dass der Auszug aus der Hierarchie stattfinden kann bzw. muss. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Versatzstücke von P2P (wieder) Verwendung finden und widerständige Prinzipien für das Individuum und die Gesellschaft möglich und notwendig werden. Jedoch: Wenn die Rolle des Individuums durch seine Arbeit auf Plattformen seiner Wahl im Prinzip gestärkt wird, erscheint die Frage, wie diese Freiheit politisch abgesichert und etwa eine Dominanz der Plattform- und Datenunternehmen verhindert werden kann, zentral.
Ayad Al-Ani
Kapitel 14. Statt eines Schlusswortes: Zwischenschritte
Aus dem Netz in die reale Welt
Zusammenfassung
Das Netz mit seinen unzähligen Verbindungsmöglichkeiten – so hat es den Anschein – macht das physische Zusammentreffen von Menschen zunehmend überflüssig. Allerdings ist auch ein Trend bemerkbar, der die Individuen, die sich über das Netz gefunden haben, aus diesem virtuellen Raum heraustreten und Events besuchen, Revolutionen anzetteln oder eigene Communities schaffen lässt. Wer sich über das Netz gefunden hat, der kann nun auch seine Bekanntschaften physisch treffen und vielleicht entstehen so auch nachhaltige Beziehungen. Kombiniert man die Möglichkeiten, über das Netz Peers und Gleichgesinnte zu finden, mit der Motivation, eine dauerhaftere, stärkere Beziehung aufzubauen, so zeigen sich Entwicklungslinien, die die Entstehung von Gruppen und Communities in der physischen Welt immer mehr als Ergebnis einer individuellen Präferenz erkennen lassen – und weniger dem Zufallsprinzip unterwerfen, so wie dies heute etwa durch den Geburtsort und die Staatsangehörigkeit geschieht. Die Community auf einer Plattform steht in diesem ‚reversen‘ Prozess also in einer Interaktionskette, die in der digitalen Welt beginnt und sich nun einen realen Ort suchen muss bzw. kann, um den Beziehungen ihrer Mitglieder eine zusätzliche, emotionale Dimension hinzuzufügen.
Ayad Al-Ani
Kapitel 15. Zusammenfassung
Zusammenfassung
Der erfolgreiche Kapitalismus scheint nun auf eine neue Ebene überzuspringen: Die von den Unternehmen heute nicht genutzten Fähigkeiten und Motivationen der Mitarbeiter, Kunden und sonstiger Interessierter – ihr ‚kognitiver Surplus‘ also –, sowie die nach Umsetzungen suchende ethische Plentitude gebildeter und tatendurstiger Individuen, genährt durch eine weitgehende materielle Absicherung sowie eine ‚Überedukation‘ breiter Schichten, organisierten sich zu Beginn des neuen Jahrtausends völlig neu. Mehr noch: Diese neuen Peer-to-Peer Organisationsformen waren zum Teil derart produktiv und innovativ, dass traditionelle Unternehmen und politische Organisationen diese kooptierten und – das ist die eigentliche Pointe – sich dabei wissentlich oder unwissentlich ebenfalls transformierten. Sowohl die neuen politischen als auch die wirtschaftlichen Kooperationsformen blieben von ihren Auswirkungen allerdings insofern beschränkt, als dass diese auf der Flucht entstandenen Modelle zunehmend ökonomisiert und politisch entschärft von traditionellen Organisationen kooptiert wurden. Ein wichtiger Nebeneffekt der neuen Plattformorganisationen war allerdings, dass große Massen von Daten aggregiert wurden, welche dem ‚alten‘ Projekt der Künstlichen Intelligenz bzw. des Maschinellen Lernens neuen Schub verleihen konnten. Damit sind nun die Voraussetzungen für eine ‚zweite Welle‘ des Auszugs aus der Hierarchie gegeben: Dieser Exodus wird diesmal vom Unternehmen ausdrücklich gewünscht, weil die Automatisierung weniger – zumindest aber andere – menschliche Mitarbeit erfordert. Diese anstehende, schrittweise vorsichgehende Transformation in Richtung automatisierter Produktions- und wohl auch Governanceprozesse, kann nun auf einige der Organisationsformen und Erfahrungen der P2P-Welt zurückgreifen, um den wachsenden kognitiven Surplus einer sinnvollen Verwendung zuzuführen.
Ayad Al-Ani
Backmatter
Metadaten
Titel
Widerstand in Organisationen • Organisationen im Widerstand - Revisited
verfasst von
Ayad Al-Ani
Copyright-Jahr
2022
Electronic ISBN
978-3-658-37947-6
Print ISBN
978-3-658-37946-9
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37947-6

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