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26.06.2023 | Funktionswerkstoffe | Schwerpunkt | Online-Artikel

Maschinenbau warnt vor striktem PFAS-Verbot

verfasst von: Thomas Siebel

4:30 Min. Lesedauer

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Viele Dichtungen, Ventile, Schläuche und Kompressoren enthalten PFAS. Deutschland drängt auf eine EU-weite Beschränkung der gesundheitsgefährdenden Stoffe. Laut VDMA hätte das für Teile der Industrie schwerwiegende Folgen.

Per- und Polyfluoralkylsubstanzen, kurz PFAS, haben einzigartige physikalisch-chemische Eigenschaften: Selbst unter hohen Temperaturen oder in korrosiven Umgebungen weisen sie Wasser oder Fett und Öl ab – sie sind also hydrophob beziehungsweise lipophob. Entwickelt werden PFAS seit den 1940er-Jahren und finden sich seither in einer großen Zahl von Industrie- und Konsumgütern, beispielsweise in Verpackungsmaterialien, Textilien, Haushaltsgeräten, Polituren oder Schaumstoffen. Speziell im Maschinenbau kommen PFAS in vielen Dichtungen, Ventilen, Schläuchen oder Kompressoren sowie in der Metall- und Kunststoffbeschichtung oder im Bereich von Spezialschmierstoffen zum Einsatz.

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2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

Pharmaceuticals, Benzotriazoles and Polyfluoroalkyl Substances: Impacts and Potential Reduction Measures

Daily life products like medicines, dishwasher detergents or textiles contain various organic chemicals. According to use and disposal of such products pharmaceuticals, benzotriazoles, and polyfluoroalkyl substances (PFAS) appear among many other organic chemicals in municipal wastewaters. 

PFAS ist dabei ein Sammelbegriff für eine Gruppe von über 10.000 Stoffen mit ähnlichem chemischen Aufbau: Die organischen Verbindungen bestehen aus kurzen oder langen Kohlenstoffketten, deren Wasserstoffatome entweder vollständig (perfluoriert) oder teilweise (polyfluoriert) durch Fluoratome ersetzt sind. Die hohen Bindungskräfte zwischen dem Fluor- und den Kohlenstoffatomen sorgen für die extrem hohe Beständigkeit der PFAS. Man spricht in dem Zusammenhang deswegen auch von Ewigkeitschemikalien.

Menschengemacht und gesundheitsgefährdent

PFAS sind ausnahmslos menschengemacht. 230.000 Tonnen der verschiedenen Flourpolymere wurden im Jahr 2022 weltweit produziert. Infolge ihrer weit verbreiteten Herstellung und Anwendung gelangen sie vielfach absichtlich und unabsichtlich in die Umwelt, wie die chinesischen Forscher Bin Ji und Yaqian Zhao im Artikel World Profile of Foreseeable Strategies for the Removal of Per- and Polyfluoroalkyl Substances (PFASs) from Water schreiben.

Besorgniserregend ist dabei nicht nur die Langlebigkeit der Stoffe. Im Artikel Advanced Process for PFAS Removal from a Leachate Landfill schreibt das Autorenteam um Roberto Zocchi vom italienischen Umwelttechnikunternehmen Greenthesis Group:

„Aufgrund der hohen chemischen, thermischen und biologischen Stabilität von PFAS […] ist ihre Sanierung sowohl im Wasser (24630460) als auch im Boden/Sediment äußerst schwierig. […] verschiedene Studien deuten darauf hin, dass sie schwerwiegende Krankheiten wie Entwicklungsstörungen bei Säuglingen, Fruchtbarkeitsstörungen bei Frauen und ein erhöhtes Krebsrisiko verursachen könnten.“ Roberto Zocchi et al.

Weitere Gesundheitsrisiken sind laut der europäischen Umweltagentur EEA Leberschäden, Schilddrüsenerkrankungen und Fettleibigkeit.

PFAS nur noch in Ausnahmen einsetzbar

Einmal in die Umwelt gelangt, verteilen sich PFAS in kürzester Zeit über das Wasser und reichern sich in der Folge in verschiedenen Organismen bis hin zum Menschen an, wie sich auf den Seiten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) nachlesen lässt. Menschen nehmen die Stoffe dabei vor allem über tierische Lebensmittel und Trinkwasser auf. Laut BMUV besteht deswegen Handlungsbedarf, auch wenn die nachgewiesenen PFAS-Konzentrationen in jungen Erwachsenen bereits seit 30 Jahren deutlich gesunken sind. Die Beseitung von PFAS aus Böden und Grundwasser ist dabei schwierig. Vollständig gelänge das laut BMUV nur mithilfe hochtemperierter Sonderabfallverbrennungsanlagen.

Vor diesem Hintergrund beobachten Elke Fries und Manuela Helmecke von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sowie Christoph Schulte vom Umweltbundesamt ein wachsendes Verständnis dafür, dass Umweltbelastungen durch PFAS bereits in der Herstellung begrenzt werden sollten, wie sie im Kapitel Pharmaceuticals, Benzotriazoles and Polyfluoroalkyl Substances: Impacts and Potential Reduction Measures schreiben.

Ansatzpunkt

Vermeidungsmaßnahmen

Herstellung

Substitution

Safe-by-Design-Ansätze

Bessere Prozesse in Produktion und Formulierung der Substanzen

Nutzung

Verminderte Nutzung von PFAS-haltigen Produkten

Informationen für angemessenen Umgang mit den Produkten

Ordnungsgemäße Entsorgung

Sensibilisierung und Kommunikation

Kennzeichnung PFAS-haltiger Produkte

Bewusstseinsbildung

Einige besonders häufig in der Umwelt nachgewiesene Stoffe der PFAS-Gruppe sind EU-weit bereits verboten. Behörden aus Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Norwegen setzen sich derzeit allerdings für eine umfassende EU-weite Beschränkung aller PFAS ein. Ein entsprechender Vorschlag liegt derzeit der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zur Prüfung vor. Danach dürften PFAS nur noch in Bereichen eingesetzt werden, in denen es auf absehbare Zeit keine geeigneten Alternativen gibt oder in denen das gesamtgesellschaftliche Interesse an der Nutzung der Stoffe die Umweltfolgen überwiegen. Beispiele sind die Herstellung von Halbleitern, persönliche Schutzausrüstung für Rettungs- und Sicherheitskräfte oder Medizinprodukte.

VDMA: Industrie teils um Jahrzehnte zurückgeworfen

Der VDMA schlägt angesichts der geplanten Regulierung nun Alarm. Ein umfassendes PFAS-Verbot würde die industrielle Produktion teilweise auf den Entwicklungsstand von 1950 zurückwerfen. Dadurch sei die Qualität der Grundversorgung der Menschen an vielen Stellen in Gefahr. Von einem Verbot seien fast alle Maschinenbaufirmen in unterschiedlichem Maße betroffen. Die Einschätzung, dass die gesamte PFAS-Stoffgruppe aus Umweltsicht problematisch ist, teilt Sarah Brückner, Leiterin der VDMA-Abteilung für Umwelt und Nachhaltigkeit, nicht. "Es gibt PFAS-Stoffe, die kein relevantes Risiko für Mensch und Umwelt darstellen, aber die Langlebigkeit und Sicherheit vieler industrieller Produkte und Produktionsprozesse garantieren", so Brückner. Diese PFAS-Gruppen müssten deswegen vom Verbot ausgenommen werden.

Einzelausnahmen für bestimmte Produkte wie zum Beispiel Wärmepumpen führen laut Brückner in die Irre, weil es allein schon im Bereich der grünen Technologien tausende solcher Ausnahmen geben müsste. Statt eines umfassenden Verbots fordert der VDMA deswegen eine risikobasierte Regulierung. Sogenannte Polymers of low concern sollten erlaubt bleiben, während die Regulierung zugleich viel deutlicher zwischen Konsum- und Industrieprodukten unterscheiden müsse. "Komponenten, die tief im Inneren einer Maschine verbaut sind und ordentlich entsorgt werden, dürfen nicht mit Teflonpfannen oder Skiwachsen gleichgesetzt werden", so Brückner.

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