11.4.2 Haftung auf das Äquivalenzinteresse/Gewährleistungshaftung
Das Äquivalenzinteresse ist das Interesse an der Erfüllung der vertraglichen Pflichten. Voraussetzung für entsprechende Pflichten ist, dass zwischen Designer und Hersteller überhaupt ein Vertrag besteht. Davon ist bei einer unentgeltlichen Überlassung der OSH-Baupläne nicht ohne Weiteres auszugehen (siehe Abschn.
11.3).
Bei Fehlen eines Schuldverhältnisses besteht kein vertraglicher Schadensersatzanspruch des Herstellers gegen den Designer auf Ersatz des Äquivalenzinteresses. Wenn der Designer und der Hersteller allerdings ein entsprechendes Schuldverhältnis geschlossen haben und der Designer von dem Hersteller erfolgreich auf Ersatz des Äquivalenzinteresses in Anspruch genommen wird, muss der Designer den Hersteller so stellen, wie dieser bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung stehen würde.
Das BGB sieht für die Bereiche des Kaufrechts (§§ 437 ff. BGB), des Mietrechts (§§ 536 ff. BGB), des Werkvertragsrechts (§§ 634 ff. BGB) und bei Verbraucherverträgen über digitale Produkte (§§ 327i ff. BGB) Gewährleistungsansprüche vor, das heißt, dass der Schuldner für die Mangelfreiheit der von ihm geleisteten Sache einstehen muss. All diese Verträge setzen aber eine Gegenleistung voraus – der Kaufvertrag die Zahlung eines Kaufpreises, der Mietvertrag die Zahlung eines Mietzinses, der Werkvertrag die Zahlung einer Vergütung und der Verbrauchervertrag über digitale Produkte die Zahlung eines Preises oder von Daten. Wenn der Hersteller den OSH-Bauplan unentgeltlich herunterlädt, liegt folglich keiner der oben genannten Verträge vor. Das bedeutet, dass der Hersteller gegen den Designer keinen Anspruch auf Mängelgewährleistung hat, er also weder die Nachbesserung des OSH-Bauplans noch die Nachlieferung eines mangelfreien OSH-Bauplans verlangen kann (
Leupold/Wiebe/Glossner, IT-Recht
2021, Teil 1 Rn. 42).
Für unentgeltliche Verträge, wie die Schenkung und die Leihe, ist im Gesetz kein Mängelgewährleistungsrecht vorgesehen. Wenn einer der beiden Vertragstypen vorliegt, dann kann der Hersteller von dem Designer jedenfalls weder Nacherfüllung noch Nachlieferung verlangen. Schenker und Verleiher haften lediglich dann, wenn sie einen Fehler der Sache arglistig verschweigen und hieraus ein Schaden beim Beschenkten bzw. Entleiher entsteht (§ 524 bzw. § 600 BGB). Allerdings lässt sich die unentgeltliche, vertragliche Zurverfügungstellung eines OSH-Designs weder dem Vertragstyp der Schenkung noch jenem der Leihe eindeutig zuordnen. Denn eine Schenkung setzt eine Entreicherung, also eine dauerhafte Vermögensminderung auf Seiten des Schenkenden voraus (MüKoBGB/Koch, BGB, § 516 Rn. 6). Dies wäre bei OSH-Designs allein dann denkbar, wenn das Design urheberrechtlich oder patentrechtlich geschützt und dem Erwerber eine unentgeltliche Lizenz eingeräumt würde. Die Leihe wiederum setzt die Überlassung einer Sache, also eines körperlichen Gegenstands voraus; immaterielle Gegenstände sind nicht umfasst. Es wird teilweise vertreten, die Vorschriften über die Leihe entsprechend auf die unentgeltliche Überlassung nicht körperlicher Gegenstände anzuwenden (MüKoBGB/Häublein, BGB, § 598 Rn. 5). Allerdings ist die Leihe grundsätzlich zeitlich begrenzt und der Entleiher ist nach § 604 Abs. 1 BGB verpflichtet nach Ablauf der vereinbarten Zeit die „Sache“ zurückzugeben. Dies passt im OSH-Kontext aus zwei Gründen nicht. Zum einen ist eine Rückgabe des OSH-Bauplans an den Designer nie vorgesehen und zum anderen sind OSH-Baupläne per definitionem veränderbar und dürfen weiterverbreitet werden, sodass sich der Gegenstand der Leihe verändern und ein Rückgabeerfordernis mit der freien Weiterverbreitung in Widerspruch stehen würde.
Die unentgeltliche, vertragliche Zurverfügungstellung eines OSH-Designs ist stattdessen als Vertrag sui generis einzuordnen. Viel spricht dabei dafür, auch auf diesen gesetzlich nicht geregelten Vertragstyp die Haftungsprivilegien der unentgeltlichen Verträge des BGB anzuwenden: Der Designer erhält – ebenso wie Schenker und Verleiher – keine Gegenleistung, weshalb eine Gewährleistungshaftung unangemessen streng wäre. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Besonderheit von OSH gerade darin besteht, dass jedermann die Baupläne verändern und weiterentwickeln kann; der Entstehungsprozess wird dokumentiert und ist offen einsehbar. Bei einem fehlerhaften Design bleibt dem Hersteller also immer noch die Möglichkeit, selbst Hand anzulegen und den Mangel auszubessern. Die Herstellung eines mangelfreien OSH-Produkts zu ermöglichen, liegt eben nicht allein und eindeutig im Verantwortungsbereich eines (einzigen) Designers, sondern ist idealerweise das Ergebnis kollaborativer Weiterentwicklung und iterativer Verbesserung.
§ 434 Abs. 1 BGB definiert, wann eine Sache frei von Sachmängeln ist, und ermöglicht durch einen Umkehrschluss festzustellen, wann ein Sachmangel vorliegt. Eine Sache ist dann frei von Sachmängeln, wenn sie den subjektiven und den objektiven Anforderungen entspricht. Den subjektiven Anforderungen entspricht die Sache, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit aufweist und sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet, § 434 Abs. 2 BGB. Die objektiven Anforderungen beinhalten, dass die Sache sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann, § 434 Abs. 3 BGB.
Welche objektiven Anforderungen an OSH-Baupläne zu stellen sind, ist nicht ganz leicht zu beurteilen. Zum einen bereitet es Schwierigkeiten zu bestimmen, welche Beschaffenheit bei Sachen derselben Art im OSH-Kontext üblich ist. In dem Zusammenhang stellt sich die Frage, mit welchen anderen Sachen OSH-Baupläne zu vergleichen sind. Unklar ist, ob sich dieselbe Art auf alle anderen Baupläne eines solchen Produktes bezieht oder nur auf OSH-Baupläne desgleichen Produktes. Zum anderen ist es schwer zu ermitteln, welche Beschaffenheit der Käufer erwarten kann, da auch Laien OSH-Baupläne erstellen und so Designer eines OSH-Produktes sein können. Die Vergleichsgruppe ist grundsätzlich mithilfe von Produktart und Produkttyp, Preiskategorie und anhand funktionaler Aspekte zu bestimmen (
Rockstroh/Peschel, NJW
2020, S. 3345, 3346 Rn. 12). Demnach spricht viel dafür, dass als Vergleichsgruppe für die übliche Beschaffenheit eines OSH-Bauplans nur auf OSH-Baupläne desgleichen Produkts abzustellen ist. Die übliche Beschaffenheit bestimmt sich nach der Erwartung, die ein durchschnittlich informierter und objektiver Hersteller an die Beschaffenheit des OSH-Bauplans hat. Darin einfließen können die Angaben und Bezeichnung des OSH-Bauplans, etwa, wenn sich aus der Beschreibung ergibt, dass es sich um eine „Beta-Version“ handelt. Auch einfließen können andere Beschreibungen und Äußerungen des Designers, beispielsweise wenn dieser ausdrückt, dass der OSH-Bauplan besonders sicher oder qualitativ hochwertig ist, dann kann der Hersteller höhere Erwartungen an den OSH-Bauplan stellen.
Die subjektiven und objektiven Anforderungen stehen gleichrangig nebeneinander. Die objektiven Anforderungen können aber durch die Parteien vertraglich (und auch konkludent) modifiziert oder abbedungen werden, § 434 Abs. 3 S. 1 BGB. In einem solchen Fall richtet sich der Mangelbegriff nur nach den subjektiven Anforderungen.
11.4.3 Haftung auf das Integritätsinteresse (Haftung für Schäden an anderen Rechtsgütern)
Das Integritätsinteresse ist das Interesse des Gläubigers an der Erhaltung seines status quo, also des ohne die geschuldete Leistung bestehenden Vermögensstatus. Es umfasst im Fall eines fehlerhaften OSH-Designs also vor allem Schäden an Eigentum oder Gesundheit des Herstellers bzw. des Nutzers des OSH-Produktes.
Eine weitreichende Bedeutung hat die Ermittlung, ob ein Schuldverhältnis besteht auch im Rahmen des vertraglichen Schadensersatzanspruches. Zum einen ist der Umfang des vertraglichen Schadensersatzes sehr weit und erfasst auch den Ersatz von bloßen Vermögensschäden. Zudem besteht eine Beweislastumkehr zugunsten des Anspruchstellers (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB), der typischerweise der geschädigte Hersteller sein wird. Dieser hat im Rahmen des vertraglichen Schadensersatzanspruchs lediglich darzulegen und zu beweisen, dass der Designer eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt hat. Dagegen muss er nicht darlegen und beweisen, dass der Designer die Pflichtverletzung auch zu vertreten hat, d. h. vorsätzlich oder fahrlässig verletzt hat (§ 276 Abs. 1, 2 BGB). Bei Vorliegen eines Vertrages ist dem Designer auch das Verschulden derjenigen zuzurechnen, die er zur Erfüllung der vertraglichen Verbindlichkeiten einsetzt § 278 S. 1 Alt. 2 BGB (= Erfüllungsgehilfen) ohne, dass der Designer sich diesbezüglich exkulpieren kann.
Vertraglich schuldet der Vertragspartner nicht nur die Erfüllung der Leistungspflichten (= Äquivalenzinteresse), sondern hat auch Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils zu nehmen (Integritätsinteresse). Konkret bedeutet das, dass der Designer dafür Sorge tragen muss, dass durch die Zurverfügungstellung eines OSH-Bauplans die Rechtsgüter des Herstellers nicht verletzt werden. Für die Konkretisierung des Umfangs der Schutzpflichten ist auf den Inhalt des Schuldverhältnisses abzustellen (NK-BGB/Krebs, BGB, § 241 Rn. 22). So richten sich Inhalt und Umfang der Nebenpflichten nach den vertraglichen Abreden der Parteien und den konkreten Umständen des Einzelfalls (BeckOK BGB/Sutschet, BGB, § 241 Rn. 44). Dabei ist desto eher von der Verletzung einer Nebenpflicht auszugehen, je mehr die Parteien auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit angewiesen sind oder der Hersteller sich auf die besondere Fachkunde des Designers verlassen können muss (BeckOK BGB/Sutschet, BGB, § 241 Rn. 44). Bei der Ermittlung in welchem Maße Schutzpflichten des Designers bestehen, sind auch die von dem OSH-Bauplan ausgehenden drohenden Gefahren zu berücksichtigen. Bei den Pflichten ist zwischen dem Verbot der aktiven Schädigung, der Pflicht zum aktiven Schutz und Informationspflichten zu unterscheiden (NK-BGB/Krebs, BGB, § 241 Rn. 22).
Im Kontext von OSH kann die Kausalität zwischen der Handlung des Designers und der Rechtsgutsverletzung auf Seiten von Hersteller bzw. Nutzer Schwierigkeiten bereiten: Der Designer haftet nur dann, wenn es gerade der von ihm oder ihr erstellte Bauplan war, der den Schaden verursacht hat. Nimmt der Hersteller Veränderungen am Bauplan vor oder kommt es während des Herstellungsprozesses zu Abweichungen vom Originalplan, kann es schwer sein, nachzuweisen, dass der Designer für den Schaden verantwortlich ist. Die Besonderheiten von OSH sind zudem – wie schon bei der vertraglichen Haftung – auch beim Verschuldensmaßstab angemessen zu berücksichtigen. Der Designer eines OSH-Bauplans sieht diesen möglicherweise nicht als finale Version, sondern lediglich als Entwurf an, der von anderen weiterbearbeitet und verbessert werden soll. Wird dies ausreichend kenntlich gemacht, sind geringere Anforderungen an die vom Designer aufzuwendende Sorgfalt zu stellen.
Das ProdHaftG dient der Umsetzung der europäische Produkthaftungsrichtlinie (ProdHaftRL). Die ProdHaftRL ist in ihrer aktuell gültigen Fassung nicht für die digitale Wirtschaft sowie Kreislaufwirtschaft im Allgemeinen und OSH-Produkte im Speziellen ausgelegt. Die Vorgaben der ProdHaftRL entsprechen nicht der technologischen Entwicklung der letzten Jahre, da digitale Anwendungen unberücksichtigt sind und sich seit dem Erlass der ProdHaftRL im Jahr 1985 die Art und Weise wie Produkte hergestellt, vertrieben und betrieben werden erheblich verändert hat (siehe Nr. 1: Bundesrat, Begründung des Richtlinienentwurfs für eine neue Produkthaftungsrichtlinie, S. 2). Deshalb hat die europäische Kommission im September 2022 einen Entwurf für eine neue Produkthaftungsrichtlinie (ProdHaftRL-E) vorgelegt (siehe Nr. 4: European Commission, Richtlinienvorschlag über die Haftung für fehlerhafte Produkte des Europäischen Parlamentes und Rates). Die ProdHaftRL-E beabsichtigt eine umfassende Modernisierung der verschuldensunabhängigen Haftung für fehlerhafte Produkte. Nach der ProdHaftRL-E sollen künftig auch Software und digitale Bauunterlagen (Produktionsdateien) unter den Anwendungsbereich der Produkthaftungsrichtlinie fallen (siehe Artikel 4 (1) ProdHaftRL-Entwurf). Das ist eine wichtige Ergänzung, die die viel diskutierte Frage, ob Software oder OSH-Baupläne als Produkte iSd § 2 ProdHaftG anzusehen sind, klären würde.
Relevant für den OSH-Kontext ist auch Erwägungsgrund 13 (ErwG) der ProdHaftRL-E, wonach die ProdHaftRL nicht für freie und quelloffene Software gelten soll, die außerhalb einer gewerblichen Tätigkeit entwickelt oder bereitgestellt wird, um Innovation und Forschung nicht zu behindern. Möglicherweise sind damit auch unentgeltlich zur Verfügung gestellte OSH-Baupläne aus dem Anwendungsbereich der ProdHaftRL-E ausgenommen, was zwingend auch zu einer Privilegierung im nationalen Recht führen würde: Da die ProdHaftRL grundsätzlich vollharmonisierend ist, dürfen die EU-Mitgliedstaaten von der ProdHaftRL abweichende nationale Rechtsvorschriften weder aufrechterhalten noch einführen (siehe Artikel 3 ProdHaftRL-E). In der ProdHaftRL-E findet sich allerdings kein Hinweis darauf, ob OSH von ErwG 13 erfasst ist. Die Ratio des Erwägungsgrunds passt auch für OSH-Baupläne, denn diese sollen offen geteilt werden, frei zugänglich, nutzbar, veränderbar und weiterverteilbar sein und bergen ein enormes Innovationspotenzial. Andererseits differenziert die ProdHaftRL-E explizit zwischen Software und „digital manufacturing files“, wozu auch OSH-Baupläne zählen. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht ist es spannend zu ermitteln, ob dieser Erwägungsgrund auch auf OSH übertragbar ist und die unentgeltliche Weitergabe von OSH folglich durch die ProdHaftRL-Ef privilegiert wäre.
Im Geltungsbereich der ProdHaftRL-E wäre bei der Ermittlung, ob ein OSH-Bauplan fehlerhaft ist, darauf abzustellen, ob der OSH-Bauplan die Sicherheit bietet, die die Allgemeinheit unter Berücksichtigung der Umstände erwarten darf (vgl. Artikel 6 Abs. 1 ProdHaftRL-E). Auch hier ist wieder relevant, welche Anforderungen an einen OSH-Bauplan zu stellen sind. Im OSH-Kontext ist auch Art. 7 Abs. 4 ProdHaftRL-E relevant. Hiernach ist jede natürliche oder juristische Person als Hersteller anzusehen, die ein bereits in Verkehr gebrachtes oder in Betrieb genommenes Produkt verändert in den Verkehr gebracht hat, wenn die Änderung des bezeichneten Produkts als wesentlich gilt und außerhalb der Kontrolle des ursprünglichen Herstellers erfolgt.
Grundsätzlich muss der (geschädigte) Anspruchssteller den Produktfehler, den Schaden und den Kausalzusammenhang zwischen beiden beweisen, siehe Artikel 9 Abs. 1 ProdHaftRL-E. Die Fehlerhaftigkeit des Produkts und die Kausalität des Fehlers für den Schaden wird aber zukünftig widerlegbar vermutet, wenn die Beweisführung aufgrund der technischen und wissenschaftlichen Komplexität übermäßig schwierig ist. In diesem Fall ist nur nachzuweisen, dass das Produkt wahrscheinlich fehlerhaft war und zum Schaden beigetragen hat, siehe Artikel 9 Abs. 2 ProdHaftRL-E. Bislang haben Geschädigte im Falle einer Sachbeschädigung einen Schaden bis zu einer Höhe von 500 € selbst zu tragen, § 11 ProdHaftG. Dieser Selbstbehalt soll künftig entfallen, Art. 13 ProdHaftRL-E. Zudem soll auch die Haftungshöchstgrenze von 85 Mio. € entfallen.