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14.09.2021 | Rennsporttechnik | Interview | Online-Artikel

"Die Formel-E ist für uns ein attraktiver Accelerated Lifetime Test"

verfasst von: Sven Eisenkrämer

9 Min. Lesedauer

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Interviewt wurden:
Dr.-Ing. Dirk Kesselgruber

Dr.-Ing. Dirk Kesselgruber ist Vice President Steering Engineering bei ZF TRW.

Dr. Christoph Gillen

Dr. Christoph Gillen, verantwortet seit April 2021 das Systems Engineering bei GKN Automotive im Bereich ePowertrain.

Was bringt einem Tier-1-Zulieferer ein Engagement im elektrischen Motorsport? Ein Interview über die Formel E, Antriebsentwicklung und Thermomanagement mit Dirk Kesselgruber und Christoph Gillen von GKN.

Der Motorsport dient seit jeher als anspruchsvollster Prüfstand in der Fahrzeugentwicklung. Die Formel E ist genau das für diverse Hersteller und Zulieferer im Bereich der Elektromobilität. Während sich jedoch einige OEMs bereits wieder vom teuren Rennzirkus abwenden, halten andere Unternehmen an ihrem Engagement in der E-Rennserie mit spektakulären Austragungsorten fest. Der britische Zulieferer GKN ist Antriebsstrang-Partner des Formel-E-Rennstalls Jaguar Racing und entwickelt die E-Antriebe mit Hilfe der Erkenntnisse der Extremeinsätze auf den Rennstrecken weiter. Digital-Chefredakteur Sven Eisenkrämer hat für springerprofessional.de und MTZ im Rahmen des für Jaguar und GKN dramatisch geendeten letzten Saisonlaufs der Formel E in Berlin mit Dr. Dirk Kesselgruber, President e-Powetrain und Dr. Christoph Gillen, Director Systems Engineering bei GKN Automotive, über die Erfahrungen in der Formel E, über die Herausforderungen in der E-Antriebs-Entwicklung und über das Thermomanagement von elektrischen Antriebssträngen gesprochen.

springerprofessional.de: GKN Automotive ist der Antriebstrang-Partner beim I-Type 5. Was kommt in dem Boliden von GKN alles zum Einsatz?

Christoph Gillen: Über Bauteile konkret kann ich nicht sprechen. Im Moment ist es im Wesentlichen der Support, den wir leisten, das Know-how, das wir einbringen. Simulationskompetenzen, Regelungstechnikkompetenzen, und so weiter. Aber wir sind mit Jaguar Racing an allen Themen der 3-in-1-Einheit, der Motor Generator Unit MGU, beteiligt.

Dirk Kesselgruber: Wir stellen unsere Kernkompetenzen weitestgehend im Bereich der Modellbildung, Simulation, Auslegungsmodelle und Tools zur Verfügung und auch bei den Softwarekomponenten in der Motorenregelung. Wir machen viel im Bereich Test und Validierung.

Gillen: Und jüngst haben wir intensiv über das Thema Cooling gesprochen. Wir haben also stark unterstützt im Bereich der Kühlung des Antriebsstrangs. Das ist einer der Punkte, die uns relativ zügig Effizienzgewinne bringen. Da lässt sich richtig was rausholen. Am Ende des Tages geht es bei der Formel E um Effizienz. Wir wollen so weit wie möglich kommen. Das ist natürlich etwas, das uns im Alltagsgeschäft für unsere Seriensysteme extrem hilft.

Sie sprechen von aktiver Kühlung der Bauteile?

Gillen: Ja, natürlich geht es um eine aktive Kühlung. Wenn ich die Performance bis ans Limit bringe, ist es bei der Elektronik genau wie bei Motoren so, dass die Magneten und so weiter in einem bestimmten Temperaturbereich gehalten werden müssen. Dadurch ist es wichtig, effizient alle Verluste wegzubekommen. Dann kann ich wirklich die Performance pushen und zu einem erfolgreichen Rennergebnis kommen. Und bei einem E-Motor selbst mit 98 Prozent Wirkungsgrad sprechen wir beispielsweise bei den 250 kW hier in der Formel E trotzdem noch über eine erhebliche Verlustleistung und das ist eine enorme Wärmeentwicklung. Und selbst im Serienfahrzeug haben wir bei vielleicht 80 oder 100 kW und 90 Prozent Gesamtwirkungsgrad noch immer eine hohe Wärmeentwicklung, die man wegschaffen muss.

Über welche Temperaturbereiche sprechen wir?

Gillen: Die Leistungselektronik im Consumer-Automotive-Bereich beispielsweise darf vielleicht 150 bis 175 Grad Celsius erreichen. Wenn sie heißer wird, ist sie tot. Ohne ein vernünftiges Thermomanagement müsste man die Leistung reduzieren, um sie in dem Temperaturbereich zu halten.

Kesselgruber: Die Temperaturen werden ja eingeregelt. Die Frage ist nur: Was ist der beste Weg dahin? Wie erreicht man ein möglichst geringes thermisches Volumen und eine möglichst geringe oder optimale Temperatur. Das ist die Regelungsaufgabe. Man könnte die Maschinen theoretisch vollkommen überhitzen bis zum Schmelzpunkt.

Gillen: Beim Motor sind da beispielsweise die Isolierung relevant. Wenn die schmilzt, habe ich sofort einen Kurzschluss. Und Magnete müssen in einem gewissen Temperaturbereich gehalten werden, weil es sonst zu einer Demagnetisierung kommt, dann hätte ich auch keine Performance mehr.

Kesselgruber: Das ist am Ende auch ein Kostenfaktor. Gutes Thermomanagement erlaubt auch, viel Content rauszunehmen. Je besser ich das im Griff habe, desto günstiger kann ich beispielsweise Magnetmaterial einkaufen, da sind dann weniger seltene Erden drin, und so weiter.

Was macht die Zusammenarbeit mit Jaguar in der Formel E für einen Zulieferer wie GKN interessant?

Gillen: Wir haben einen recht kurzen Technologiezyklus innerhalb der Elektronik und der elektrischen Antriebe. Da passiert noch sehr, sehr viel. Elektronik hat einen Lebenszyklus von vielleicht fünf Jahren. Was heute wirklich hoch-innovativ ist, ist in fünf Jahren Standard und kann man in zehn Jahren eigentlich schon nicht mehr kaufen. Wir haben eine sehr kurze Phase, in der wir die Technik einsetzen können. Und da hilft uns ein solches Engagement sehr. Für uns ist das im Prinzip ein sehr attraktiver Accelerated Lifetime Test. Unter Rennbedingungen werden alle Komponenten an den Rand der Belastbarkeit gebracht und wir sehen gemeinsam mit den Kollegen von Jaguar Racing, wo die Probleme auftreten. Was hier bei der Formel E umgesetzt wird in Raceperformance und guten Rundenzeiten, wird am Ende des Tages auf der Straße bedeuten: Wir haben kleinere, leichtere Systeme, die effizient fahren und dann für den Endkunden akzeptable Reichweite bei akzeptablen Kosten bedeuten. Wenn ich eine Reichweitenerwartung habe und eine gewisse Effizienz, dann kann ich damit meine Batteriegröße skalieren. Das geht sofort in den Preis rein. Wir sind also hochgradig daran interessiert, von dieser Zusammenarbeit immer mehr in unsere tägliche Entwicklung mit einzubringen.

Wie groß sind denn die Potenziale noch für Serienfahrzeuge?

Gillen: Wir sehen da durchaus noch Potenzial. Bei elektrischen Antrieben reden wir ja ohnehin schon von einem hohen Effizienzgrad. Aber in dem Bereich, in dem man was holen kann, sind da noch 40 Prozent der Gesamtsystemeffizienz drin. Man muss ja sehen, dass die Peak-Performance und die Peak-Efficency ziemlich hoch ist. Man hat bestimmte Punkte, bei dem ein E-Motor einen Wirkungsgrad von 99 Prozent hat oder die Leistungselektronik hat auch 99 Prozent Wirkungsgrad – aber jeweils an einem anderen Punkt. Und das Getriebe genau so. Und wenn man das zusammenbringt, hat man immer noch einzelne Punkte, an denen man jeweils eine hohe Effizienz hat, aber wenn man dann über einen WLTP spricht oder über einen Realverbrauch, dann sprechen über einen Effizienzbereich von um die 90 Prozent. Und da ist wirklich noch Luft nach oben durch Effizienzgewinne.

Das ist also Ihre größte Herausforderung in der Entwicklung und Optimierung? Wie gehen Sie das an?

Gillen: Genau, dafür ist es wichtig, dass man alle Gewerke zusammenbringt. Die Optima liegen an unterschiedlichen Stellen. Die Teile müssen gut aufeinander abgestimmt sein. Und so versuchen wir im Bereich Systems Engineering, das zusammenzubringen, dass wir nicht einen Motor entwickeln, der super ist und einen Umrichter zu entwickeln und ein Getriebe zu entwickeln, die super sind, sondern es muss genau zusammenpassen. Es muss dem Kunden genau das liefern, was er braucht und zwar unter den Rahmenbedingungen, die sowieso bestehen: Package, Kosten, Gewicht und so weiter.

Kesselgruber: Die größte Herausforderung gesamtsystemisch sind natürlich die Kosten. Bereits heute geht die Erwartungshaltung dahin, dass ein E-Antrieb nichts kosten darf, weil es eben kein explizites Differenzierungsmerkmal mehr ist. Dadurch kann man sich gut vorstellen, was im Wettbewerb los ist. Alle, die heute noch gutes Geld mit Verbrennungskraftmaschinen verdienen, müssen ihre Orderbücher mit E-Antrieben vollkriegen. Das ist ein massiv umkämpfter Markt. Dadurch, dass man Commodities wie Stahl und Kupfer nicht steuern kann, geht das eigentlich nur über Contents rausnehmen. Das heißt: Systemauslegung, clevere Regelung, optimales Thermomanagement.

Die Zusammenarbeit mit Jaguar hat bei GKN ja eine Tradition. In welchen Bereichen ist GKN bei Jaguar Land Rover derzeit noch involviert und wo geht die Reise hin?

Kesselgruber: Wir sind bei Jaguar stark bei den 4x4-Plug-in-Hybriden involviert mit unseren E-Achsen. Man muss insgesamt den Trend sehen, dass die meisten OEMs derzeit starkes Insourcing betreiben. Aus multiplen Gründen. Sie haben langfristige Verpflichtungen gegenüber ihren Mitarbeitern. Dann sind wir momentan in einer Phase, in der der Mainstream definiert wird. Da wollen Kosten verstanden werden. Es gibt immer wieder ein paar Nischenprojekte, die werden dann ausgelagert. Da wären wir dann dabei. Aber langfristig gibt es meiner Meinung nach andere Investitionsbereiche, die für den OEM wichtiger sind für die Wertschöpfung als der E-Antrieb. Deswegen ist für uns das Thema selektive Geschäftsentwicklungen, um auch die Fähigkeiten zu entwickeln.

Wie geht die Entwicklung des E-Antriebs in der Industrie und bei GKN konkret weiter?

Kesselgruber: Beim E-Antrieb geht es derzeit um Performance und Kosten. Das wird eine Commodity. Der Charakter der Maschinen wird nachher sehr über Softwareoptimierung geprägt. Man wird nicht ewig nach vorne durchinvestieren. Es gibt digitale Services, die Automatisierung, Interior und Erlebnisbereiche. Dort, wo man vom Kunden direkt Geld bekommt. Irgendwann wird man also nicht mehr physikalisch differenzieren können, was im Fahrzeug wirklich drin ist, außer an den Extremen, dem High-End-Bereich. Der Mainstream wird, wie beim Fahrwerk oder anderen Commodities, ausgelagert und da ist für uns genau das Ziel. Wir entwickeln gerade die Kompetenzen und Fähigkeiten. So fokussieren wir unser Geschäftsmodell auch. Die E-Antriebsentwicklung ist wichtig für unser Wachstum, aber nicht unser Fundament.

Und wo werden wir GKN-Antriebe in der nächsten Zukunft sehen?

Kesselgruber: Es gibt ein paar exponierte Projekte, ein paar interessante Fahrzeuge, die da noch kommen. Die Spannendsten sind aber die Neuprojekte, die wir gewonnen haben. Dazu können wir aber derzeit noch nichts sagen, da müssen wir noch ein paar Jährchen warten. Das sind dann die ersten Systeme, die wir als GKN vollständig verantworten. Da ist alles, was drin ist, GKN - und natürlich die Invertertechnologie von Delta Electronics, die aber auf unserer Gemeinschaftsplattform entwickelt wurde. Wir machen nicht nur das Getriebe. Wir bauen ja mittlerweile auch Elektromotoren – der Fiat 500e beispielsweise hat unseren Elektromotor. Wir machen das komplette magnetische Design. Das gesamte detailed Design des gesamten Motors. Wir machen den Zusammenbau und sourcen noch aktive Komponenten über unseren Partner Delta. Und wir haben das gesamte Thema E-Antriebe, also Traktionsmotoren, in der Hand. Wir werden also 2023 unseren ersten vollen GKN 3-in-1-Antrieb mit 100% Software-Content, 50 % Inverter-Content, 100% Motor und 100% Getriebe in einem Mainstream-Serienfahrzeug im Einsatz haben.

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