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Erschienen in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik 6/2023

Open Access 13.03.2023 | Spektrum

Aktuelle Herausforderungen bei der Implementierung von Self-Service Business Intelligence

verfasst von: Felix B. Fischer, Anton A. Burger, Benedikt Gehling

Erschienen in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik | Ausgabe 6/2023

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Zusammenfassung

Im Rahmen von Self-Service Business Intelligence (SSBI) sollen Aufgaben zur entscheidungsorientierten Informationsgewinnung aus Daten von Power Usern auf Business User übertragen werden. Damit will man die Entscheidungsgeschwindigkeit, Eigenständigkeit und Flexibilität der Business User erhöhen. Obwohl das Konzept seit über zehn Jahren existiert, wird es bisher von einer Minderheit der DACH-Unternehmen angewandt. Insofern stellt sich die Frage, wie die Implementierung des Konzepts gelingen kann und welche Herausforderungen dabei bestehen. Der vorliegende Beitrag ergänzt den aktuellen Forschungsstand zu den Implementierungsherausforderungen mit Hilfe von Experteninterviews und geht dabei auch auf neuere Entwicklungen im Vergleich zum bisherigen Forschungsstand wie z. B. auf SSBI mit Data Lakes ein. Zudem werden konkrete Implementierungsoptionen abgeleitet, die die Datensituation im jeweiligen Unternehmen berücksichtigen.

1 Motivation und Zielsetzung

Seit vielen Jahren steht der Begriff Business Intelligence (BI) für die Sammlung, Aufbereitung und Analyse von Daten zur Generierung und Darstellung von relevanten Informationen für bessere und schnellere Entscheidungen in Unternehmen (Watson 2009; Chaudhuri et al. 2011). In traditionellen BI-Systemen werden interne (z. B. aus einem Data Warehouse) und externe Daten (z. B. zur Marktsituation) von Power Usern (z. B. Data Scientists) herangezogen und analysiert. Die generierten Informationen werden Business Usern (z. B. Controllern und Managern) entsprechend ihren Anforderungen bereitgestellt (Bani-Hani et al. 2018).
Unter den Annahmen, dass sich das zugehörige Datenvolumen sowie die Anzahl verfügbarer Datenquellen erhöhen (Kari et al. 2019) und schnelle Entscheidungen elementar für den Unternehmenserfolg sind, wird die zeitnahe Analyse großer Datenmengen in Unternehmen zunehmend wichtig. Eine Möglichkeit zur Erhöhung der Entscheidungsgeschwindigkeit ist, den Business Usern mehr Analysetätigkeiten in Eigenregie ohne Abhängigkeit von und potenziell langwierigen Abstimmungen mit Power Usern zu ermöglichen. Dieses Übertragen von BI-Aufgaben von Power Usern auf Business User ist der Ansatz von Self-Service BI (SSBI) und findet sich seit rund zehn Jahren in der Literatur (Abelló et al. 2013; Alpar und Schulz 2016; Imhoff und White 2011).
Obwohl am Markt etablierte SSBI-Lösungen wie Microsoft Power BI und Tableau bestehen (Town und Thabtah 2019), verwenden im DACH-Raum laut einer Befragung aus 2021 66 % der Unternehmen ausschließlich Tabellenkalkulation zur Datenanalyse (Hewlett Packard Enterprise 19.10.2021). Insofern stehen viele Unternehmen vor der Frage, ob und wie sie SSBI implementieren sollen. Lennerholt et al. haben 2018 den aktuellen Stand der Literatur zu den Implementierungsherausforderungen zusammengetragen und zehn davon identifiziert. Der vorliegende Beitrag aktualisiert und erweitert diese Herausforderungen, indem zehn Interviews mit BI-Experten und -Beratern geführt und ausgewertet werden. Dabei soll insbesondere beantwortet werden, wie sich die wesentlichen Anforderungen an die Implementierung zwischen 2018 und 2022 auch aufgrund neuerer technischer Entwicklungen verändert haben und welche Implikationen für die Praxis abgeleitet werden können.

2 Hintergrund

2.1 Self-Service Business Intelligence

Im Rahmen von SSBI werden je nach Kenntnisstand mehr oder weniger komplexe Aufgaben an Business User übertragen. Alpar und Schulz (2016) unterscheiden drei Level von Self-Service: Auf dem niedrigsten Level treten Business User als Nutzer von Informationen auf, indem sie Zugang zu mehr (von BI-Experten bereitgestellten) Informationen bzw. Berichten erhalten und diese Berichte mit drill-down und -up Funktionen auf verschiedenen Aggregationsstufen (visuell/explorativ) analysieren können. Das zweite Level beinhaltet die Gewinnung von Informationen. Business User erhalten Zugriff auf nicht aggregierte (aber von BI-Experten aufbereitete) Daten und können damit selbst Berichte und Visualisierungen erstellen. Dabei besteht auch die Möglichkeit, fortgeschrittene Analyseverfahren (z. B. Predictive Analytics) durchzuführen. Auf dem dritten Level werden durch Business User neue Informationsquellen geschaffen. Hierfür sollen die Nutzer selbstständig neue, nicht von der IT aufbereitete Datenquellen nutzbar machen und bestehende Daten miteinander sowie mit den neuen Daten kombinieren. Die o. g. Autoren weisen jedoch darauf hin, dass bereits ab dem zweiten Level Risiken und Schwierigkeiten bei der Ausübung der definierten Aufgaben durch unbedarfte Business User bestehen.
Je nach Level bzw. Aufgaben benötigen Business User unterschiedlich stark ausgeprägte IT-Kenntnisse. Während auf Level eins lediglich die Fähigkeit zur Interpretation aufbereiteter Informationen bestehen muss, müssen in den fortgeschrittenen Leveln selbstständig Datenanalysen und -visualisierungen sowie ggf. Extract‑, Transform-, und Load-Prozesse (ETL/ELT) verschiedener Datenquellen durchgeführt werden. Dafür müssen die Business User die zugrundeliegenden Datenmodelle und -beziehungen, die Datenqualität sowie ggf. Grundlagen der Statistik erkennen bzw. verstehen (Alpar und Schulz 2016). Schlesinger und Rahman (2016) betonen in diesem Kontext, dass die Nutzer die semantische Ebene der zu nutzenden Datenquellen (z. B. des Data Warehouses) verstehen müssen. Johannessen und Fuglseth (2016) wiederum heben hervor, dass die Nutzer Kenntnisse bei der Datenmodellierung benötigen. Es ist naheliegend, dass nicht jeder Business User alle nötigen Kenntnisse für SSBI besitzt (Lennerholt et al. 2021). Daher wird die Implementierung von SSBI in einem Unternehmen Herausforderungen sowohl bei der Einbindung der User als auch der Aufteilung der Aufgaben zwischen Power und Business User aufweisen.

2.2 Herausforderungen bei der Implementierung

Lennerholt et al. (2018) erarbeiteten im Rahmen einer Literaturübersicht zehn Herausforderungen bei der SSBI-Implementierung (vgl. Tab. 1). Dabei unterscheiden sie zwischen Herausforderungen hinsichtlich dem Zugang und der Nutzung von Daten (sechs Herausforderungen) und der selbstständigen Nutzung der SSBI-Tools (vier Herausforderungen). Bezüglich der Daten wird einerseits auf Zugang (inkl. Abfragen und zugehörige Datenmodellierung), Qualität und einfache Analyse (1.1–1.3, 1.6) und andererseits auf das Datenmanagement und die Datenkontrolle und -Governance (1.4–1.5) fokussiert. Bei der selbstständigen Nutzung relevant sind die Gestaltung, Handhabung und Bereitstellung der Tools (2.1–2.3) sowie die Schulung der Nutzer (2.4).
Tab. 1
SSBI-Implementierungsherausforderungen, in Anlehnung an Lennerholt et al. (2018)
SSBI-Implementierungsherausforderungen nach Lennerholt et al. (2018)
Herausforderungen beim Zugang und der Nutzung von Daten
1.1: Leichter Zugang und leichte Nutzung von Datenquellen
1.2: Identifikation der Auswahlkriterien von Daten hinsichtlich Qualität
1.3: Verwendung korrekter Datenabfragen
1.4: Kontrolle über Datenintegrität, -sicherheit und -verbreitung
1.5: Festlegung von Richtlinien für das Datenmanagement und die Data Governance
1.6: Einfache visuelle Analyse der Daten
Herausforderungen bei der selbstständigen Nutzung von SSBI-Tools
2.1: Benutzerfreundliche Gestaltung der SSBI-Tools
2.2: Einfacher Konsum und einfache Anpassung der Ergebnisse
2.3: Bereitstellung geeigneter Tools für die jeweiligen Anwender(gruppen)
2.4: Schulung der Nutzer für die richtige Auswahl, Interpretation und Analyse entscheidungsrelevanter Daten
Während die Literaturübersicht aus dem Jahr 2018 stammt, weisen die zugrundeliegenden inhaltlichen Quellen eine Veröffentlichungsbandbreite von 2011 bis 2016 auf.1 Insofern stellt sich die Frage, wie sich die Herausforderungen seitdem beispielsweise aufgrund der Entwicklung der existierenden Tools verändert haben und wie sie in der Praxis in 2022 priorisiert werden.

3 Methodik

Um zu erörtern, welche Herausforderungen bei der SSBI-Implementierung bestehen und wie sie sich im Vergleich zum o. g. Stand verändert haben, wurde ein qualitativer Forschungsansatz gewählt. Das qualitative Interview ermöglicht die Untersuchung organisational komplexer, praxisrelevanter Phänomene bzw. Situationen (Qu und Dumay 2011). Mit Hilfe detaillierter, leitfadengestützter Experteninterviews wurde (implizites) Wissen aus der Praxis gesammelt und damit der bestehende Forschungsstand ergänzt und erweitert. Dabei wurden in den Interviews auch die bisher bestehenden Herausforderungen bezüglich Relevanz und Aktualität diskutiert, um die Entwicklung seit 2018 (bzw. 2016) nachzuvollziehen.
Für die Erhebung als Experte definiert wurde, wer mindestens drei Jahre Berufs- oder äquivalente Erfahrung im Bereich SSBI aufweist. Um sowohl detaillierte Erfahrungen zu Implementierungsprojekten als auch zur operativen Einführung und Bereitstellung von SSBI-Tools und -Systemen zu erhalten, wurden Experten aus IT-/BI-Unternehmensberatungen und aus Unternehmen befragt. Die Kontaktaufnahme potenzieller Experten erfolgte über LinkedIn und die Presseteams von Unternehmen. Insgesamt wurden 106 Personen bzw. Unternehmen angeschrieben.
Insgesamt konnten Interviews mit zehn Experten in Deutschland geführt werden2 (vgl. Tab. 2), wovon vier zum Interviewzeitpunkt (E03, E06, E09, E10) und zwei zu einem früheren Zeitpunkt (E02, E08) im Bereich BI-Consulting arbeiteten. Vier Experten betätigten sich im Bereich der unternehmensinternen Einführung und Bereitstellung von BI-Lösungen (E01, E04, E05, E08) und zwei in der fortgeschrittenen Anwendung von Data-Analytics- und BI-Verfahren (E02, E07). Durch die verschiedenen Anwendungsperspektiven der Experten konnten unterschiedliche, sich ergänzende Facetten des komplexen Phänomens der SSBI-Implementierung erhoben werden (Parker 2014).
Tab. 2
Übersicht zu den Experten und Interviews
Experte (ID)
Position
Erfahrung in Jahren
Interviewdauer in min
E01
Data Analytics Projektleiter
6
22
E02
Senior BI und Data Analyst
13
39
E03
BI Consultant
9
41
E04
Senior Data Warehouse Engineer
8
42
E05
BI Business Development Manager
6
53
E06
BI Consultant
3
32
E07
BI Analyst
3
40
E08
Projektleiter Service Unit BI
4
45
E09
BI Consultant
3a
29
E10
BI Consultant (Projektleiter)
6
27
aE09 hat rd. ein Jahr Berufserfahrung als Consultant, zuvor jedoch vier Jahre Computer Science mit Schwerpunkt BI studiert. Diese wurden ihm zu 50 % als relevante Erfahrung angerechnet.
Die Gespräche wurden via Videokonferenz geführt, aufgezeichnet und anschließend wörtlich transkribiert und geglättet; die Gesprächsführung basierte auf dem zuvor angefertigten Leitfaden. Letzterer besteht aus einem einführenden Teil mit Fragen zur Person und den Erfahrungen, einem Hauptteil mit Schlüsselfragen zu den Implementierungsherausforderungen sowie einem Teil mit abschließenden Fragen. Um zusätzliche Herausforderungen aufzudecken, wurde im Hauptteil der Interviews zunächst offen nach den wichtigsten Herausforderungen bei der SSBI-Implementierung gefragt. Anschließend wurde auf konkrete Herausforderungen eingegangen. Im abschließenden Teil wurden zusätzlich Fragen zu SSBI allgemein aufgebracht und die Experten gebeten, die Herausforderungen aus Tab. 1 der Relevanz nach zu sortieren.
Die transkribierten Interviews wurden mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (Mayring 2019). Dabei wurden die Transkripte mit einem deduktiv-induktiven Ansatz kodiert: Zunächst wurde ein Kategoriensystem auf Basis der Literaturübersicht von Lennerholt et al. (2018) erstellt. Dieses wurde anschließend während des Kodierens (d. h. der Kategorisierung der Interviewaussagen) anhand der vorliegenden Inhalte und Entdeckungen angepasst. Auf eine Darstellung des vorläufigen oder finalen Kategoriensystems wird verzichtet und stattdessen auf Tab. 3 verwiesen, die die wesentlichen Erkenntnisse der Analyse basierend auf der Struktur des Kategoriensystems enthält.
Tab. 3
Wesentliche SSBI-Implementierungsanforderungen per 2022
SSBI-Implementierungsherausforderungen 2022
Herausforderungen beim Zugang und der Nutzung von Daten
1.a: Leichter Zugang und leichte Nutzung von Datenquellen (inkl. Datenabfragen)
1.b: Identifikation der Auswahlkriterien von Daten hinsichtlich Qualität
1.c: Kontrolle über Datenintegrität, -sicherheit und -verbreitung/Data Management & Governance
1.d: Einfache visuelle Analyse der Daten (inkl. Nutzerrisiken)
Herausforderungen bei der selbstständigen Nutzung von SSBI-Tools
2.a: Bereitstellung geeigneter Tools für die jeweiligen Anwender(gruppen)
2.b: Schulung der Nutzer für die richtige Auswahl, Interpretation und Analyse entscheidungsrelevanter Daten
Ökonomische und technische Herausforderungen
3.a: Kosten- und Performance-Abwägungen
3.b: Interkonnektivität der etablierten SSBI-Tools
3.c: Systemarchitektur (inkl. Betreuung) und Implementierungsstrategie

4 Ergebnisse

4.1 Entwicklung der in der Literatur identifizierten Herausforderungen

Im Zuge der Interviews stellte sich heraus, dass es den Experten schwerfiel, einzelne, ähnliche Herausforderungen aus der Literatur voneinander abzugrenzen. Aus diesem Grund wurden in Tab. 3 u. a. die Herausforderungen 1.1 und 1.3 zu 1.a zusammengelegt. Ein leichter Zugang – auch mit Hilfe von Datenabfragen – und damit eine leichte Nutzung von Datenquellen durch die Business User stellt laut der Experten nach wie vor eine wesentliche Herausforderung für die SSBI-Implementierung dar. Insbesondere spiele die Integrierbarkeit von unstrukturierten und externen oder aus einem Data Lake stammenden Daten eine größer werdende Rolle, sei aber in aktuellen SSBI-Lösungen noch nicht (vollständig/problemlos) umsetzbar. Zwar würden solche Lösungen Schnittstellen bzw. vorkonfigurierte Abfragen (sog. Konnektoren) zu immer mehr verschiedenen Datenquellen anbieten, jedoch sei eine Anwendung und Analyse ohne spezifisches Wissen oftmals problembehaftet.
Die Herausforderung hinsichtlich der Datenauswahl und -qualität (1.2 bzw. 1.b) wurde in den Interviews mehrfach als die wichtigste bezeichnet. Neben den (fehlenden) Fähigkeiten der Business User zur Einordnung der Qualität von Daten wurden weitere Probleme genannt. Einerseits wurde angemerkt, dass die Verfahren zur Sicherstellung und Optimierung der Qualität von Datensätzen (z. B. mit Hilfe Künstlicher Intelligenz) noch nicht weit genug fortgeschritten seien. Andererseits stelle sich die Bewertung der Qualität unstrukturierter, qualitativer Datensätze als schwierig dar. Zudem wären Metadatenverzeichnisse und Bewertungen (z. B. Scores) zu Datensätzen hilfreich, würden jedoch selten existieren.
Dementsprechend wurde die Herausforderung 1.c zu Datenintegrität, -management und -Governance ebenfalls als relevant eingestuft. (Wie bei 1.a wurden die beiden ähnlichen Herausforderungen 1.4 und 1.5 zu 1.c zusammengefasst.) Grundsätzlich seien umfangreiche Zugriffsmöglichkeiten auf Daten im Unternehmen eine existenzielle Voraussetzung für BI, jedoch müsse eine umfassende Kontrolle und Governance der Daten aus Sicherheits- und Datenschutzgründen vorliegen. Dies gelte auch hinsichtlich der Sicherstellung der Datenqualität bzw. -integrität, damit Daten z. B. nur standardisiert erfasst und zentral gespeichert werden. Wird beispielsweise mit Hilfe eines Data Warehouse die einfache Nutzung (1.a) qualitativ hochwertiger Daten (1.b) ermöglicht, sollten auch ein Berechtigungsmanagement, Anonymisierungsmöglichkeiten und Governance-Standards implementiert werden.
Die Herausforderung 1.6 bzw. 1.d beschreibt die Notwendigkeit, dass insbesondere wenig fortgeschrittener Nutzer in der Lage sein müssen, Daten visuell darzustellen und zu analysieren. Intuitive Visualisierungsmöglichkeiten bieten laut der Experten für Business User einen Mehrwert gegenüber Altsystemen und ermöglichen schnelle Analysen. Gleichzeitig bestünde jedoch die Schwierigkeit, dass aus den gegebenen visuellen Möglichkeiten eine leichtfertige Verarbeitung von Daten und Trugschlüsse folgen können. Insofern müsse bei der Implementierung sowohl auf die visuellen Möglichkeiten als auch auf die zugehörigen Risiken geachtet werden (vgl. 2.a).
Laut einigen Experten stellen die benutzerfreundliche Gestaltung der SSBI-Tools (2.1) sowie der einfache Konsum von SSBI-Ergebnissen (2.2) keine Herausforderungen mehr dar. Die etablierten Software-Lösungen „könnte[n in der Handhabung] fast nicht mehr einfacher sein“ (E05). Aus Implementierungsperspektive können diese Herausforderungen folglich als gelöst eingestuft werden, weswegen 2.1 und 2.2 nicht in Tab. 3 überführt wurden.
Ebenso wurde von den Experten – weil alle etablierten Tools benutzerfreundlich seien – die Auswahl geeigneter SSBI-Tools (2.a) als wenig relevant eingestuft. Bezogen auf die Anwendergruppen besteht dennoch eine Herausforderung hinsichtlich der Auswahl: Prinzipiell empfahlen mehrere Experten, ein Tool für alle Anwender einzuführen, wiesen aber darauf hin, dass dies nur möglich sei, wenn alle Nutzer ausreichende IT-Fähigkeiten hätten. Insofern stellt die Abwägung zwischen der Beschränkung auf ein Tool und der Berücksichtigung unterschiedlicher Nutzergruppen bzw. IT-Fähigkeiten eine Implementierungsherausforderung dar.
Aus den Interviews mit den BI-Consultants ging hervor, dass Schulungen der Anwender (2.b) im Rahmen der SSBI-Implementierung durchgeführt werden und herausfordernd seien. Die Schulungen seien deshalb wichtig, damit die Business User wegen fehlender Kenntnisse nicht auf alte Systeme zurückgreifen. Besonders herausfordernd sei demnach, Anwender mit unterschiedlichen Vorkenntnissen und IT-Fähigkeiten an die Tools heranzuführen und zur dauerhaften Nutzung zu bewegen. Einzelne Experten wiesen zudem darauf hin, dass Einführungsschulungen besonders für Anfänger nicht ausreichten und stattdessen dauerhaft Ansprechpersonen (z. B. Data Stewards) bereitgestellt werden müssten.

4.2 Zusätzlich identifizierte Herausforderungen

Aus den Interviews konnten weitere, nicht aus der Literatur identifizierte Herausforderungen abgeleitet werden. Eine davon sind Abwägungen hinsichtlich der Kosten und Performance der SSBI-Lösung (3.a). Einerseits müssen die Kosten für die gesamte Lösung im Kontext der verschiedenen Software- und Beratungsanbieter ermittelt und miteinander verglichen werden. Hierbei müsse auch eruiert werden, wie viel Performance im Sinne der Serverkapazitäten und Rechenleistung benötigt wird. Andererseits müsse eine Kosten- und Performance-Abwägung hinsichtlich dem (gewünschten) Nutzerverhalten stattfinden: Werden große Datenmengen bereitgestellt und wird die Möglichkeit großer, unsachgemäßer Datenabfragen (ohne Filter) gegeben, können durch die Nutzung Zusatzkosten (oder Performance-Engpässe) entstehen, z. B. wenn Cloud-Lösungen verbrauchsabhängig abgerechnet werden.
Eine weitere Herausforderung stellt die Interkonnektivität zwischen den SSBI-Tools (3.b) verschiedener Anbieter dar. Dies betrifft laut Experten vor allem die verschiedenen Anwendungen im Verlauf des BI-Prozesses von der Datensammlung bis zur Visualisierung, also z. B. die Konnektivität zwischen ERP-System, Data Warehouse/Lake und Aufbereitungs‑, Analyse- und Visualisierungs-Tool. Daher muss bei der Implementierung von SSBI die Interkonnektivität mit den bestehenden Anwendungen im Unternehmen berücksichtigt werden.
Sowohl aus den zuvor genannten Herausforderungen als auch aus den Interviews lässt sich ableiten, dass die Bereitstellung einer passenden Systemarchitektur sowie Betreuung der Nutzer (3.c) existenziell ist. Dies betrifft das Datenmanagement und die Daten-Governance, das Berechtigungsmanagement, die Auswahl und Gewährleistung der richtigen Tools je Anwendergruppe und die dauerhafte Unterstützung der Business User. Während einzelne Aspekte im Rahmen anderer Herausforderungen bereits genannt wurden, wird unter 3.c die Gesamtheit des notwendigen Systems für SSBI und dessen Gestaltung subsumiert. Hierfür muss eine Implementierungsstrategie definiert werden, die die Aufteilung der Aufgaben zwischen Business und Power User (vgl. Abs. 2.1) und die dafür nötigen Voraussetzungen festlegt.

5 Diskussion und Implikationen

5.1 Diskussion der Ergebnisse

Aus den Studienergebnissen wird deutlich, dass sich die Implementierungsherausforderungen von 2018 (bzw. 2016) zu 2022 zum Teil gewandelt haben. Die etablierten SSBI-Tools sind in der Handhabung grundsätzlich benutzerfreundlich, sodass sich der Fokus auf folgende wesentliche Aspekte verschoben hat: auf die Daten selbst (‑zugang, -qualität, -management, -kontrolle), auf die heterogenen IT-Fähigkeiten der Business User und auf eine sinnvoll geplante und gestaltete Systemarchitektur inkl. Implementierungsstrategie, die die heterogenen IT-Fähigkeiten und Datensituation berücksichtigt.
Der Digitalstand der Unternehmen im DACH-Raum 2021 deckt sich mit den aufgedeckten Herausforderungen: Knapp die Hälfte der (befragten) Unternehmen verfügen über keinen strukturierten Ansatz zur Implementierung von Analytics-Anwendungen wie SSBI-Tools. 37 % der Unternehmen verfügen über keine Datenstrategie und 47 % über kein unternehmensweites Sicherheits- und Zugriffsmodell für Daten (Hewlett Packard Enterprise 19.10.2021). Insofern ist es naheliegend, dass der Fokus auf der strukturierten Einführung einer ganzheitlichen Daten‑, Sicherheits- und Systemarchitektur liegt.

5.2 Implikationen für die Praxis

Aus der Praxisperspektive stellt sich die Frage, wie eine konkrete SSBI-Implementierungsstrategie aussehen kann. Um dafür die heterogenen IT-Fähigkeiten der Business User einzuschätzen, bietet es sich im ersten Schritt an, eine Mitarbeiterbefragung zu den jeweiligen IT-Kenntnissen durchzuführen. Anhand der Ergebnisse kann die grundlegende Aufgabenverteilung zwischen Business und Power Usern, also ein abgestuftes Konzept mit verschiedenen Nutzerrollen, Zugriffsmöglichkeiten und Verantwortlichkeiten erarbeitet werden. Auf die individuellen Fähigkeiten kann eingegangen werden, indem sich Business User beispielsweise erst durch interne Zertifizierungen auf bestimmte Stufen des Daten- und Sicherheitskonzepts freischalten lassen können.
Einen wesentlichen Faktor bei der Implementierungsstrategie stellt die IT- und Datensituation im Unternehmen dar. Die o. g. Studie zum DACH-Raum legt nahe, dass die Unternehmenslandschaft grob zweigeteilt ist in Unternehmen mit grundsätzlich ausgereiften IT- und Datenstrukturen und solchen mit kaum vorhandener Struktur. Je nach der Situation im Unternehmen sollte die SSBI-Einführung eine unterschiedliche Zielsetzung aufweisen: Liegen ausgereifte Datenstrukturen (z. B. ein betreutes Data Warehouse) vor, können Business User mit strukturierten Teildatenmengen versorgt werden. Das Ziel ist, möglichst vielen Business Usern (innerhalb einer bestehenden Systemarchitektur) intuitive Analysen einfach zu ermöglichen. Zusätzlich können versierten Usern fortgeschrittene Rollen zugeteilt werden.
Bestehen wiederum keine ausgereiften Datenstrukturen und demnach auch keine vorbereiteten Datensätze, führt dies einerseits zu erhöhten Risiken hinsichtlich der Fehlinterpretation von Daten. Andererseits leidet u. U. wegen Überforderung der Business User die Akzeptanz und Nutzung der SSBI-Tools und damit auch das SSBI-Potenzial. Daher sollte in diesem Fall das Ziel sein, ausgewählte (z. B. IT-affine und motivierte) Business User zur selbstständigen Nutzung von SSBI (inkl. der Datensammlung und -transformation) zu bewegen und dementsprechend zu schulen. Diese User können dann die Datenarbeit der jeweiligen Fachabteilung maßgeblich übernehmen bzw. unterstützen. Dabei sollte eruiert werden, ob bei fehlendem Datensicherheitsmodell überhaupt einer großen Zahl an Mitarbeitern SSBI an die Hand gegeben werden sollte.
Hinsichtlich der Daten haben die Interviews eine Entwicklung von Data Warehouses mit kuratierten Daten hin zu Data Lakes u. a. mit unstrukturierten Rohdaten angedeutet. Der Vorteil hierbei ist, dass strukturierte und unstrukturierte Daten aus verschiedenen Systemen (z. B. ERP- und CRM-System) und Quellen (z. B. aus Social Media oder Geräten) zentral gespeichert, abgerufen und kombiniert werden können. Jedoch bedeutet dies für das Konzept SSBI, dass auch in Unternehmen mit ausgereiften Datenstrukturen die Herausforderungen für Business User und die zugehörigen Risiken zunehmen. Daher wird die Systemarchitektur noch wichtiger: Über ein zugeschnittenes Zugriffsmanagement und fest definierte Zugänge und Konnektoren werden Risiken minimiert und über eine konsistente Datenkategorisierung mittels Metadatenverzeichnisse wird das Verständnis erhöht. Eine dauerhafte Betreuung (z. B. durch Data Stewards) und auf die Nutzerrollen zugeschnittene Schulungen können das Risiko weiter senken.
Zusammenfassend lassen sich auf Basis der IT-Fähigkeiten der Mitarbeiter, Datensituation, Systemarchitektur und den bereitstehenden (finanziellen) Ressourcen folgende Optionen der Strategiegestaltung ableiten: a) weil keine ausreichenden Datenstrukturen vorliegen, wird IT-affinen Mitarbeitern eine Lösung für „Do-it-yourself“-SSBI an die Hand gegeben; b) weil strukturierte Daten (z. B. in einem Data Warehouse) vorliegen, kann auf Basis eines abgestuften Nutzerkonzepts vielen Business Usern SSBI zur (visuellen) Analyse vorbereiteter Daten angeboten werden; c) liegen z. B. in einem Data Lake auch unstrukturierte Daten vor, muss einerseits eine fortschrittliche Systemarchitektur und andererseits eine dauerhafte Betreuung der Business User gewährleistet sein. Dafür können Business User auf eine Vielfalt an Daten zugreifen miteinander kombinieren. Abb. 1 veranschaulicht die mögliche Vorgehensweise bei der Strategieentwicklung.

5.3 Implikationen für die Forschung

Die vorliegende Studie trägt zur Forschung bei, indem sie die teilweise Verschiebung des Fokus bei der SSBI-Implementierung dokumentiert. Dadurch wird der aktuelle Forschungsstand ergänzt und aktualisiert (vgl. Tab. 1 mit Tab. 3). Zukünftige Forschung sollte die Entwicklung der Herausforderungen weiter beobachten und untersuchen. Darüber hinaus wird im Vergleich mit einer aktuellen Veröffentlichung von Lennerholt et al. (2022) (allerdings nicht nur zu Implementierungs-, sondern allgemein zu SSBI-Herausforderungen) deutlich, dass die Herausforderungen hinsichtlich der Systemarchitektur auch seit 2018 nicht hinreichend berücksichtigt wurden: Die Autoren nennen fünf übergeordnete Herausforderungen, nämlich Datenzugang, Datenqualität, Nutzereigenständigkeit, Reporterstellung und SSBI-Schulung. Während diese Herausforderungen mit den Ergebnissen der vorliegenden Studie korrespondieren (1.a, 1.b, 2.a, 1.d, 2.b), fehlen Herausforderungen zur Implementierungsstrategie sowie zur Datenstruktur und Systemarchitektur. Insofern erweitert dieser Beitrag den aktuellen Forschungsstand.

6 Zusammenfassung und Ausblick

Die vorliegende Studie zeigt auf, dass sich die SSBI-Lösungen (im Vergleich zu 2016/18) weiterentwickelt haben, jedoch weiterhin Herausforderungen bei der SSBI-Implementierung bestehen. Diese hängen vor allem mit dem Datenzugang, der Datenqualität und dem Datenmanagement, den heterogenen IT-Fähigkeiten der Business User sowie mit der Systemarchitektur im Unternehmen zusammen. Bei der Implementierung müssen diese Aspekte beachtet werden; entsprechend den Voraussetzungen im Unternehmen sollte daher eine passende Strategie mit jeweils unterschiedlichen Zielen gewählt werden. Mit zunehmender Weiterentwicklung der Datensituation steigen tendenziell die Anforderungen an die Systemarchitektur und Betreuung der Business User.
Langfristig wird sich der Fokus von der Implementierung hin zur Optimierung der bestehenden SSBI-Systeme entwickeln. Hierbei stellt sich die Frage, ob eine Optimierung inkrementell oder auf einen Schlag durchgeführt werden soll. Für Ersteres bietet es sich z. B. an, die Datenlage durch Investitionen in die interne Datenarchitektur zu verbessern, bei Letzterem könnte eine sorgfältig geplante Optimierungsstrategie den Prozess unterstützen. Letztlich gilt es, die Eigenständigkeit der Business User zu erhöhen, indem ein passender Rahmen hierfür bereitgestellt wird.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Fußnoten
1
Zwar haben die Autoren 2021 und 2022 weiter zu SSBI-Herausforderungen veröffentlicht, sich dabei jedoch auf nutzer- oder nutzungsbezogene Herausforderungen fokussiert; vgl. Lennerholt et al. (2021); Lennerholt et al. (2022). Die vorliegende Studie befasst sich ausschließlich mit der Implementierung und fußt daher auf Lennerholt et al. (2018).
 
2
Eine niedrige Rücklaufquote ist ein häufiges Problem bei Interviews z. B. wegen fehlendem Interesse der Experten; vgl. Welch et al. (2002) Bei der gegebenen Fragestellung mit dem Fokus auf Herausforderungen kann es allerdings vorteilhaft sein, nur interessierte und damit für Fragen offene Experten zu interviewen; das Risiko einer Verzerrung durch Selbstselektion wird demnach als klein eingeschätzt.
 
Literatur
Zurück zum Zitat Abelló A, Darmont J, Etcheverry L, Golfarelli M, Mazón J‑N, Naumann F, Pedersen T, Rizzi SB, Trujillo J, Vassiliadis P, Vossen G (2013) Fusion cubes: Towards self-service business intelligence. Int J Data Warehous Min 9:66–88. https://doi.org/10.4018/jdwm.2013040104CrossRef Abelló A, Darmont J, Etcheverry L, Golfarelli M, Mazón J‑N, Naumann F, Pedersen T, Rizzi SB, Trujillo J, Vassiliadis P, Vossen G (2013) Fusion cubes: Towards self-service business intelligence. Int J Data Warehous Min 9:66–88. https://​doi.​org/​10.​4018/​jdwm.​2013040104CrossRef
Zurück zum Zitat Hewlett Packard Enterprise (2021) Umfrage: Zwei Drittel der Vorstände haben keine Datenstrategie ((19.10.2021)) Hewlett Packard Enterprise (2021) Umfrage: Zwei Drittel der Vorstände haben keine Datenstrategie ((19.10.2021))
Metadaten
Titel
Aktuelle Herausforderungen bei der Implementierung von Self-Service Business Intelligence
verfasst von
Felix B. Fischer
Anton A. Burger
Benedikt Gehling
Publikationsdatum
13.03.2023
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik / Ausgabe 6/2023
Print ISSN: 1436-3011
Elektronische ISSN: 2198-2775
DOI
https://doi.org/10.1365/s40702-023-00962-4

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