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18.04.2024 | Automobilwirtschaft | Gastbeitrag | Online-Artikel

Zehn Probleme der Zuliefererindustrie

verfasst von: Stefan Randak

5:30 Min. Lesedauer

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Die Krise bei den Zulieferern nimmt kein Ende: Stefan Randak, Direktor der Solution Group Automotive bei der Managementberatung Atreus, präsentiert zehn Probleme und die nötigen Gegenmaßnahmen.

Die heile Welt der Zulieferindustrie gehört der Vergangenheit an. Selbst die Großen einer sonst sehr mittelständisch geprägten Branche müssen derzeit Personal abbauen: Bosch, ZF, Continental und jetzt auch Webasto wollen tausende Arbeitsplätze ersatzlos streichen. Mittelständische Unternehmen müssen sich der Insolvenz widmen (zum Beispiel Eissmann), schließen Standorte (etwa Fehrer) oder werden aufgekauft (beispielsweise Dr. Schneider). Doch was sind die konkreten Ursachen und mit welchen Maßnahmen kann gegengesteuert werden? Dieser Beitrag gibt im Folgenden einen vertieften Überblick.

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Automobilzulieferer – Die Krise treibt den Umbruch

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Ursachen für die Krise der Zulieferer

  1. Krisen: Weltweiten Krisen wie Pandemien (Corona), Krieg in der Ukraine sowie im Nahen Osten, aber auch Spannungen zwischen China und Taiwan sind Gift für die Branche, da sie wichtige Rohstoffquellen und Lieferwege blockieren bzw. die Preisspirale unter anderem auch für Energie deutlich nach oben befördern. Darüber hinaus verursachen Krisen bekanntlich Kaufzurückhaltung. Wird beim Hersteller nicht gekauft, wirkt sich das direkt auf den Zulieferer aus.
  2. Strukturwandel: Die Branche steckt nach wie vor in einem Umbruchprozess. Hierzu gehören der Wandel des Antriebs (Elektrifizierung, Wasserstoff, E-Fuels) und eine zunehmende Digitalisierung des Fahrzeugs (Car Connectivity, Fahrassistenzsysteme, autonomes Fahren). Software ist der Dreh- und Angelpunkt, nicht mehr der Antrieb. Wer ausschließlich im klassischen Antrieb verhaftet ist, hat längst die Verliererposition eingenommen.
  3. Wertschöpfung: Der Markt für Verbrenner-Motoren, zuletzt noch mit ca. 200 Milliarden Euro beziffert (inklusive OEM-Eigenfertigung), löst sich zunehmend auf. Hinzu kommt, dass die Autobauer die Wertschöpfung der Zulieferer anteilig wieder in ihr eigenes Haus zurückholen wollen. Hierzu gehören unter anderem die Batteriemontage oder die Montage von Elektromotoren.  Der relevante Markt für Zulieferer wird sich voraussichtlich deutlich verkleinern.
  4. Billiglohnländer: Die Zulieferindustrie verlagerte ihre Produktion in den letzten drei Jahrzehnten in erster Linie in Billiglohnländer Osteuropas. Doch der Kostenvorteil in diesen Ländern nimmt laufend ab. Seit 2012 sind die Lohnkosten im Mittel um 80 % gestiegen. In manchen dieser Länder herrscht seit Jahren beinahe Vollbeschäftigung. Die Zulieferer befinden sich zunehmend in einer Personal- und Kostenfalle.
  5. Herstellerabrufe: Die Elektromobilität kommt derzeit nicht wie erwartet auf die Straßen. Die Zulieferer müssen aber, gemäß den geschlossenen Verträgen, ihre Produkte nach Menge und auf Termin vorrätig zum Abruf halten. Doch diese wichtigen Abrufe, die Liquidität in die Kasse der Zulieferer spülen, bleiben derzeit aus oder liegen zirka ein Drittel unterhalb der Erwartung. Es entwickeln sich unerwartete und bedrohende Cash-Ausfälle.   
  6. Deutschland: In Deutschland verschlechtern sich die Rahmenbedingungen zunehmend: Hohe Energiekosten, marode Infrastruktur, Kräfte- und Fachkräftemangel und eine unklare, bisweilen nicht vorhandene Strategie der Bundesregierung. Laut einer Atreus-Studie vom August 2023 plant ein Viertel der befragten Unternehmen Investitionen und Kapazitäten in Deutschland abzubauen. Mehr als 50 % gaben an, in den kommenden zwei Jahren im Ausland und damit nicht mehr in Deutschland investieren zu wollen. 
  7. EU-Regulierungen: Die EU befindet sich in einem Regulierungswahn. Beispiele hierfür sind: Das "Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz", die "Kreislauffähige Automobilindustrie", die "Verbaupflicht", die "EU Data Act", das "Fit for 55 Package", zahlreiche Vorgaben im Bereich der Nachhaltigkeit (etwa neue CSRD-Richtlinie) sowie viele weitere Regulierungen. Die Anzahl und Komplexität an Regulierungen verursacht bei den Zulieferern einen erheblichen administrativen und zusätzlichen Kostenaufwand.
  8. China: China bleibt der größte Absatzmarkt. Doch die Marktanteile der westlichen Hersteller sind in Gefahr geraten. Die Qualität der chinesischen Wettbewerber ist mittlerweile hoch und die Fahrzeugpreise sind attraktiv, wenngleich oftmals subventioniert. Die Zulieferer müssen sich auf die neuen Marktplayer einstellen und diese für sich gewinnen. 
  9. Rendite: Die Rendite der Zulieferer ist seit Jahren rückläufig. Es bleibt immer weniger Geld, die Transformation inklusive Investments voranzutreiben bzw. unabhängig zu bleiben. Lag die Rendite vor wenigen Jahren noch bei 7 bis 8 %, so ist sie heute bei 4 bis 5 % angekommen. Bosch liegt 2023 sogar das fünfte Jahr in Folge bei einer Ebit-Marge unter 5 % und damit wieder weit unter den 7 %, die Bosch selbst für nötig hält, um unabhängig zu bleiben.
  10. Managementfehler: Insbesondere in mittelständischen Unternehmen stellte man zu lange die bewährte Strategie und Produktpolitik nicht in Frage. Die Aufträge der OEM kamen ja jährlich und zuweilen pünktlich. Anstatt Cash aufzubauen und zu investieren, wurde oftmals an die nicht mehr im operativen Geschäft stehenden Gesellschafter ausgeschüttet. Aber auch unterschätzte Übernahmen oder Fehlinvestitionen führten zu Liquiditätsengpässen und final zur Gefährdung des gesamten Unternehmens.

Zehn Maßnahmen zur Beibehaltung der Wettbewerbsfähigkeit

Wer in dieser Situation überleben will, muss in den Task-Force-Modus umschalten. Das heißt, konkret sind folgende Aspekte zu beachten und umzusetzen, um dauerhaft wettbewerbsfähig zu bleiben:

  1. Cash-Management: Cash-Analyse und Cash-Planung, Gespräche mit Banken und Bankenkonsortien sowie Stakeholdern, Gewinnung von neuen Gesellschaftern bzw. Investoren.
  2. Business-Management: Verkauf oder Einstellung von kostenintensiven bzw. margenarmen Geschäftsbereichen. Reduktion, Verkauf oder Einstellung von nicht zukunftsorientierten Produktbereichen (zum Beispiel im Bereich des klassischen Verbrenners).  
  3. Investitions- und Produkt-Management: Stärken-Schwächen-Analyse, Produkt-Analyse – es wird vorrangig in zukunftsorientierte Geschäfts- bzw. Produktbereiche investiert. Dabei wird a) auf Kundenbedürfnisse, b) Kundennähe und c) das investive Umfeld (Land) genau geachtet. 
  4. Footprint-Management: Überprüfung aller Standorte und Werke (Auslastung, Ergebnis), Kapazitätsplanung, Abbau von Überkapazitäten, Verdichtung von Produktion und Werken, Anpassung der Supply Chain, Schließung oder Verlagerung von Werken bzw. Produktionsteilen. 
  5. Kunden-Management: Auf Qualität und Liefertreue achten, straffe Vertragsverhandlung und laufendes Vertragsmanagement, Claim-Management, neue Kunden suchen (beispielsweise chinesische Hersteller) und für sich gewinnen.  
  6. Supply Chain Management: Lagerbestands-Management, laufende Überprüfung und Sicherstellung der Lieferkette, Risikoanalyse, Lieferantensuche, -bewertung und -management, Abhängigkeiten vermeiden, Einrichtung von Eskalationsstufen, Prävention betreiben.
  7. Organisations- und Prozess Management: Analyse von Organisationen und Prozessen in jeder Business Unit, Entwicklung und Umsetzung von Optimierungsmaßnahmen im Hinblick auf Kosten, Qualität und Zeit, Digitalisierung und Automatisierung intensiv nutzen.
  8. Mitarbeiter-Management: Motivation, Förderung, Bindung und Beteiligung von Mitarbeitern, Gewinnung von Nachwuchskräften durch Begeisterung, attraktive Arbeitszeitmodelle, Home-Office ermöglichen wo sinnvoll.
  9. IT-Management: IT-Verantwortung und -Strategie, Reduktion eingesetzter ERP-Systeme, IT-Carve-in/out, Data Management, IT- und Cyber-Security.
  10. Führungskräfte-Management: Auswahl der richtigen Manager für die anstehenden Herausforderungen der nächsten 3-5 Jahre. Richtiges Fordern und Begleiten des Managements im Zuge des Bestellzyklus durch das Aufsichtsorgan.

Fazit zur Krise der Zuliefererindustrie

Wenngleich sich das Umfeld für die automotive Zulieferindustrie extrem verschärft hat, wird  sie weiterhin ein unverzichtbarer Teil der automotiven Wertschöpfungskette bleiben. Der "Kuchen der Anteilnahme" wird sich allerdings deutlich verringern. Gleiches gilt für die Anzahl der Unternehmen. Überleben ist heute eine Frage der Überlegenheit im Hinblick auf Produkte, Menschen, Material, Liquidität sowie der Innovations- und Transformationsfähigkeit.

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