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2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

4. Das Agenda Setting: Vom „Taxi fahrenden Arzt“ zur Konkretisierung der Pläne für ein Anerkennungsgesetz

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Zusammenfassung

Die Anerkennung bzw. vielmehr Nichtanerkennung ausländischer Qualifikationen bewegte zunächst in erster Linie Fachkreise und insbesondere die Integrationspraxis, die mit individuellen Fällen unterqualifizierter Beschäftigung und problematischer Arbeitsmarktintegration in der Beratungsarbeit konfrontiert war. Wie dieses Kapitel in einer chronologischen Perspektive rekonstruiert, war die Voraussetzung dafür, dass die Anerkennungsthematik darüber hinaus die politische und öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zog, eine konkrete Definition der Problemlage mangelnder Anerkennungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik zu Beginn der Jahrtausendwende sowie eine diskursive Einordnung in die gesamtgesellschaftliche Debatte zum Fachkräftemangel.

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Fußnoten
1
Bewusst soll hier nur das generische Maskulinum stehen, denn in den Diskussionen wurde ausschließlich auf Ärzte und Ingenieure verwiesen, und eben nicht auf Ärztinnen und Ingenieurinnen.
 
2
Taxifahrer*innen benötigen laut Bundesagentur für Arbeit (BA) für den Zugang und die Ausübung der Tätigkeit eine Genehmigung sowie eine für den jeweiligen Fahrzeugtyp gültige Fahrerlaubnis (BERUFENET – Berufsinformationen einfach finden 2020).
 
3
Während Spätaussiedler*innen durch § 10 des BVFG bereits über Möglichkeiten verfügten, ihre im Ausland erworbenen Qualifikationen anerkennen zu lassen, traf dies auf jüdische Kontingentflüchtlinge, die zu den Drittstaatsangehörigen zählen, nicht zu (Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration 2004, 32).
 
4
Der höchste Anteil (ca. 70 %) akademisch gebildeter Zuwanderer*innen fand sich unter jüdischen Kontingentflüchtlingen (Bundesregierung 2007, 194).
 
5
Die Universität Oldenburg hatte als erste deutsche Hochschule spezielle Studienprogramme für auslandsqualifizierte Migrant*innen entwickelt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, einen deutschen Hochschulabschluss zu erreichen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2009).
Diese Hochrechnung wurde in der Politik wiederholt aufgegriffen, beispielsweise im Antrag der Bundestagsfraktion Die Linke (vgl. Drs. 16/7109) sowie in diversen Plenardebatten im Bundestag (vgl. Plenarprotokolle 16/148, 16/202 und 16/227). Siehe auch 6.​2.​1.
 
6
Eine detailliertere Analyse der beiden Anträge erfolgt in 6.​2.​1.
 
7
Das Diakonische Werk Hamburg gehörte mit seinem Projekt „Integrationslotse“ zu den „Pionier*innen“ der Anerkennungsberatung. Bereits 2006 erschien ein Leitfaden zur Anerkennung ausländischer Schul- und Berufsabschlüsse in Hamburg, der seitdem kontinuierlich aktualisiert wird (vgl. Leitfaden zur Anerkennung ausländischer Schul-, Studien- und Berufsabschlüsse in Hamburg 2020).
 
8
Vgl. hierzu insbesondere die Erkenntnisse von (Sommer 2015a).
 
9
Beispielsweise forcierte Tür an Tür bereits seit 2005 eine Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von Migrant*innen durch die Entwicklung von Kompetenzfeststellungsverfahren informeller und non-formaler Kompetenzen, u. a. in einem Projekt im Rahmen des IQ-Netzwerks in Kooperation mit der Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk e. V. (ZWH) (vgl. Erler und Schindel 2007).
 
10
Tür an Tür – Integrationsprojekte gGmbH war Teil der Gemeinschaftsinitiative EQUAL und ist nach wie vor Teil des bundesweiten IQ-Netzwerks sowie Koordinator des IQ-Netzwerks von Bayern (MigraNet).
 
11
Die Brain-Waste-Studie entstand im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative EQUAL und wurde sowohl durch ESF-Mittel als auch durch Bundesmittel im Rahmen des IQ-Netzwerks finanziert. Das Bundesprogramm EQUAL endete am 31. Dezember 2007 (Europäischer Sozialfonds für Deutschland – Über den ESF – Gemeinschaftsinitiative EQUAL 2020).
 
12
Die im Rahmen der Brain-Waste-Studie gesammelten Informationen, Adressen und Zuständigkeiten für die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen wurden anschließend in einem Online-Portal (www.​berufliche-anerkennung.​de) zusammengeführt. Inzwischen findet sich auf der Seite lediglich der Hinweis, dass das Portal aktualisiert wird (letzter Aufruf der Seite am 21.11.2019).
 
13
Für die Ausarbeitung eines Anerkennungsgesetzes sollten die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, BMAS, BMBF und weitere Bundesressorts, die zuständig für Aspekte der Berufsbildung oder Integrationsfragen sind, BA, BAMF und BIBB, sowie auf Länderebene die KMK und betroffene Länderministerien beteiligt werden (Englmann und Müller 2007). Diese Aufstellung gibt bereits einen Ausblick auf die komplexen Koordinierungs- und Abstimmungsprozesse, die im Rahmen der Ausarbeitung einer gesetzlichen Lösung für eine Verbesserung der Anerkennung ausländischer Qualifikationen institutionalisiert wurden.
 
14
Ein Wahlkampftermin führte Scholz nach Augsburg, wo die NGO Tür an Tür ihren Sitz hat und dem Minister persönlich die Brain-Waste-Studie überreichen konnte.
 
15
Dieser Irrtum findet sich sogar schwarz auf weiß in so mancher Publikation wieder. Beispielsweise schreibt die Soziologin Andrea Baier über „[d]ie von der Integrationsbeauftragten des Bundes, Maria Böhmer, in Auftrag gegebene Studie zum „Brain Waste““(Baier 2013, 24).
 
16
Wirtschaftliche Auswirkungen wurden einerseits unter mikroökonomischen Aspekten der Erwerbsintegration und möglichen Einkommenseinbußen betrachtet und andererseits unter makroökonomischen Aspekten der Nutzung des Humankapitals im Inland bzw. der Gewinnung von Humankapital durch Zuwanderung (Knuth 2012, 129).
 
17
Die Wahl des Begriffs wird dadurch gestützt, dass interviewte Expert*innen ihn selbst verwenden und er somit auch im Sprachgebrauch außerhalb von wissenschaftlichen Fachkreisen angekommen zu sein scheint. Unter „nachholender Integrationspolitik“ werden Maßnahmen verstanden, die einen noch nicht angelaufenen oder einen gestockten Integrationsprozess (wieder) in Gang setzen sollen (Bade 2007). Im Folgenden wird der Begriff nicht gesondert gekennzeichnet.
 
18
Diskurs bezieht sich hier auf “whatever policy actors say to one another and to the public more generally in their efforts to construct and legitimate their policy programs” (V. A. Schmidt 2001, 248). In der Fallstudie wird bewusst auf die Verwendung des Begriffs „Diskurs“ verzichtet, da damit theoretische und methodologische Positionierungen verbunden sind, die sich nicht ohne Weiteres mit den Positionierungen der Fallstudie vereinbaren lassen.
 
19
Heckmann erkennt jedoch trotz der starken argumentativen Verbindung zwischen Migration und ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit erste Risse in diesem Konsens im Zuge der starken Fluchtbewegungen in die Bundesrepublik im Sommer 2015 (Heckmann 2016, 16).
 
20
Diese fünf Gesetze sind laut Rahner der Ausbildungsbonus und das Kinderförderungsgesetz zur Erschließung von Erwerbspotenzial, das Meister-BaföG und das Anerkennungsgesetz im Rahmen der Verbesserung des Bildungssystems sowie das Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz zur Förderung der Einwanderung hochqualifizierter Fachkräfte (Rahner 2018, 152).
 
21
Einen Überblick über die zahlreichen Fachkräftegremien seit 2009 findet sich bei (Rahner 2018, 150).
 
22
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat in den Jahren 2010 bis 2015 Spitzenvertreter*innen von Arbeitgeber*innenverbänden und Gewerkschaften zu insgesamt sechs Gesprächen über die „Zukunft der sozialen Marktwirtschaft“ nach Schloss Meseberg eingeladen. Das erste Gespräch „Demografischer Wandel, Innovationen, neue Technologien und Strukturen, Nachhaltigkeit“ fand am 18. Juni 2010 statt und das zweite Gespräch „Fachkräftesicherung, qualifizierte Zuwanderung“ am 22. Juni 2011 (Rahner 2018, 127).
 
23
Das Fachkräftesicherungskonzept wurde am 22. Juni 2011 vom Bundeskabinett beschlossen. Zu den fünf Maßnahmenbereichen zählten Beschäftigungssicherung, verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, verbesserte Bildungschancen, Qualifizierung durch Aus- und Weiterbildung sowie Integration und qualifizierte Zuwanderung (Rahner 2018, 123).
 
24
Die „Hochrangige Konsensgruppe Fachkräftebedarf und Zuwanderung“ war eine Initiative verschiedener Stiftungen: Stiftung Mercator, Freudenberg Stiftung, Körber-Stiftung und Vodafone Stiftung Deutschland. Zusätzlich dazu unterstützte die Robert Bosch Stiftung die Konsensgruppe mit begleitenden Studien (Hochrangige Konsensgruppe Fachkräftebedarf und Zuwanderung 2011).
 
25
Knapp drei Jahre lang führte die ZAV beauftragt durch die BA an unterschiedlichen Standorten bundesweit Anerkennungsberatungen durch und hielt ihre Erfahrungen in einem 80 Seiten umfassenden Bericht fest (Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) 2011). Die ZAV sollte dabei eine „Lotsenfunktion“ (Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) 2011, 12) übernehmen, indem sie Anerkennungssuchende beriet und gleichzeitig als Ansprechpartnerin für Jobcenter und Arbeitsagenturen agierte.
 
26
Die Servicestelle in München nahm im Oktober 2009 ihre Arbeit als Beratungsstelle auf. Das Modellprojekt im Saarland fand von Juni 2009 bis Dezember 2011 in Kooperation mit dem saarländischen Ministerium für Justiz, Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie der ARGE Saarbrücken statt. Träger des Projekts war ein Bildungsträger (RAG Bildung), der ein Modell zur Anerkennungsberatung entwickelte und ab September 2009 Anerkennungsberatungen durchführte (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2011).
 
27
Das durch BMBF und ESF-Mittel finanzierte „Akademikerprogramm“ (später: AQUA) war zu diesem Zeitpunkt das bundesweit erste und einzige Nachqualifizierungsprogramm (Englmann und Müller 2007, 118). Kern des Programms bildeten bundesweit ergänzende Studienmaßnahmen für Akademiker*innen mit ausländischen Qualifikationen, die dadurch die Möglichkeit hatten, ergänzend zu ihrer im Ausland erworbenen Qualifikation, ein Zertifikat einer deutschen Hochschule zu erwerben (vgl. Otto-Benecke-Stiftung e. V. 2003).
 
28
Ebenfalls frühzeitig im Bereich der Anerkennungsberatung aktiv war der Koordinator des IQ-Netzwerks Sachsen, der Verein EXIS Europa e. V. Finanziert durch EU-Mittel, Mittel des Freistaates Sachsen sowie des BAMF führte er eine Situations- und Bedarfsanalyse zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen in Sachsen durch (Reiche u. a. 2010).
 
29
Die Arbeitsgruppe setzte sich aus den Amtschef*innen der Länder Nordrhein-Westfalen (federführend), Berlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie der ZAB, der Arbeits- und Sozialministerkonferenz und der Wirtschaftsministerkonferenz zusammen. Die Vertretung des Bundes übernahmen BMBF, BMWi, BMAS, BMG und die Beauftragte der Bundesregierung für Migration und Flüchtlinge.
 
30
Den Vorsitz der Arbeitsgruppe „Koordinierende Ressorts“ hatten die Länder Nordrhein-Westfalen (Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung sowie Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales) und Sachsen-Anhalt (Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft) (SVR 2013, 162).
 
31
Der wichtigste Unterschied zwischen Mustergesetz für die Länder und Bundesgesetz besteht darin, dass es nur eingeschränkt subsidiär ist und damit spezifische berufsrechtliche Regelungen nur dann Vorrang haben, wenn dies explizit in den jeweiligen Berufsgesetzen festgelegt ist (SVR 2013, 162). Zudem haben einige Landesanerkennungsgesetze, beispielsweise von Hamburg und Baden-Württemberg, einen rechtlich verankerten Anspruch auf Anerkennungsberatung.
 
32
Als erstes Bundesland verabschiedete Hamburg ein Anerkennungsgesetz, welches am 1. August 2012 in Kraft trat. Rund zwei Jahre später verabschiedete Sachsen-Anhalt als letztes Bundesland ein Anerkennungsgesetz, welches am 1. Juli 2014 in Kraft tritt (Ländergesetze 2020).
 
33
Die 16. Legislaturperiode (2005–2009) stand unter der Führung einer Großen Koalition (CDU/CSU und SPD).
 
34
Beispielsweise bundeseinheitliche Standards für Berufe, die in die Zuständigkeit des Bundes fallen.
 
35
Es wurde argumentiert, dass beispielsweise nicht im Voraus eingeschätzt werden könne, über welche Qualifikationen die Antragstellenden verfügten und welche Anpassungsqualifizierungen dementsprechend benötigt würden.
 
36
Laut §§ 37 Abs. 2 HWO und § 45 Abs. 2 BBiG können auch Personen ohne Berufsausbildung in besonderen Fällen zur Abschlussprüfung zugelassen werden, beispielsweise wenn sie bereits das Eineinhalbfache der Ausbildungsdauer in dem jeweiligen Beruf tätig waren. Dabei wird ausdrücklich erwähnt, dass sowohl ausländische Bildungsabschlüsse als auch die Zeiten der Berufstätigkeit im Ausland zu berücksichtigen sind.
 
37
CDU/CSU insistierten auf einer engen Zusammenarbeit der Bundesregierung mit den Ländern und regionalen Kammern, um Regelungen für Anerkennungsverfahren auszuarbeiten (Bohsem 2009).
 
38
Die Rolle der Ressorts im Ausarbeitungsprozess des Anerkennungsgesetzes wird insbesondere in 5.​1 und 5.​4.​1.​1 dargestellt.
 
39
Die wichtigsten inhaltlichen Leitlinien des Eckpunktepapiers der Bundesregierung werden in 5.​2.​1 erläutert.
 
40
Der Lehrer*innenberuf fällt unter die einzelnen landesrechtlichen Regelungen, welche bekanntermaßen durch ein Bundesgesetz nicht geändert werden können. Das Fachrecht für Ärzt*innen (Artikel 29 des Bundesanerkennungsgesetzes) sieht noch immer unterschiedliche Regelungen für Abschlüsse aus Drittstaaten und Abschlüsse aus EU/EWR-Staaten bzw. der Schweiz vor (vgl. auch 2.​4.​3.​1).
 
Metadaten
Titel
Das Agenda Setting: Vom „Taxi fahrenden Arzt“ zur Konkretisierung der Pläne für ein Anerkennungsgesetz
verfasst von
Amélie Haag
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37292-7_4

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