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2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

3. Theoretische Erklärungsmodelle liberaler Migrationspolitik

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Zusammenfassung

In der Migrationspolitikforschung gibt es keine übergeordnete Migrationspolitiktheorie, die die Entstehungsbedingungen von Migrationspolitik erklärt, sondern eine Vielzahl unterschiedlich akzentuierter theoretischer Erklärungsmodelle Dabei hat sich v.a. eine Theorienkonkurrenz zwischen akteur*innen- und strukturzentrierten Erklärungsmodellen herauskristallisiert, die jedoch primär als idealtypische Unterscheidung aufzufassen ist. In diesem Kapitel werden verschiedene akteur*innen- und strukturzentrierte Einflussfaktoren auf Entstehungsbedingungen und -prozesse von Migrationspolitik vorangestellt, die eine liberale Reformdynamik begünstigen.

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Fußnoten
1
Die Studie von Scholz stellt ein Anwendungsbeispiel ideenzentrierter Erklärungsmodelle liberaler Migrationspolitik dar (Scholz 2012).
 
2
Vgl. dazu auch die detaillierten Ausführungen in 3.1.1.1.
 
3
Die Erstauflage von Mancur Olsons „Logik des kollektiven Handelns. Kollektivgüter und die Theorie der Gruppen“ (1968) erschien 1965 in den USA unter dem englischen Originaltitel „The logic of collective action. Public goods and the theory of groups.“
 
4
Grundlage seiner Theorie ist die Überlegung, dass Organisationen Kollektivgüter bereitstellen, die jedoch auch Nicht-Mitgliedern bzw. Mitgliedern, die sich nicht für die Bereitstellung und den Erhalt der Kollektivgüter engagieren, zur Verfügung stehen. Diese Diskrepanz wird auch als „Trittbrettfahrerproblem“ oder „Kollektivgutproblem“ bezeichnet: „Warum sollte ein rational kalkulierendes Individuum Kosten für ein öffentliches Gut aufwenden, das auch ohne seinen Beitrag bereitgestellt wird?“ (Czada 1992, 57).
 
5
Im Gegensatz zu Kolb, welcher Unternehmer*innenpolitik als „populistische Politik eines politischen ‘Unternehmers‘“ (Kolb 2004, 146) einordnet, wird hier mit Freeman argumentiert, dass Unternehmer*innenpolitik umfassender definiert werden muss und sich grundsätzlich auf „[…] individuals and groups who believe themselves to be damaged by some unregulated activity“ (Freeman 2002, o. S.) bezieht.
 
6
Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen (unterqualifizierter) Familienmigration und qualifizierter Zuwanderung von Arbeitsmigrant*innen ist jedoch laut Kolb in Anbetracht der Humankapitalausstattung nachfolgender Familienmitglieder empirisch nicht tragbar (Kolb 2004, 170).
 
7
Das amerikanische Modell repräsentiert laut Freeman am stärksten diese institutionellen Bedingungen.
 
8
Menz baut seine theoretische Perspektive sowohl auf Erkenntnissen der Migrationspolitikforschung zur Rolle von Interessengruppen in der Liberalisierung von Migrationspolitik (Freeman 1995) als auch auf (strukturellen) Rahmenbedingungen nationaler Produktionssysteme auf, um „[…] the gap between the migration literature and the rapidly envolving scholarship on comparative political economy“ (Menz 2011, 538) zu schließen.
 
9
Qualifikationsprofile werden anhand dem Qualifikationsniveau und der Spezifizität der Qualifikation (sektorspezifisch bzw. generalistisch) definiert.
 
10
Vgl. hierzu auch (Caviedes 2010).
 
11
Die Dilemmata, die bereits im Jahr 2000 von Penninx et al. formuliert wurden, erweisen sich noch immer von zentraler Bedeutung (Penninx u. a. 2000; Marino u. a. 2015). Das erste Dilemma bezieht sich darauf, dass sich durch Migration ungewisse Auswirkungen auf die Beschäftigungsbedingungen und Löhne der Gewerkschaftsmitglieder möglich sind und eine klare Positionierung der Gewerkschaften für oder gegen Migration erschweren. Das zweite Dilemma bezieht sich auf die Entscheidung, welche Rechte Gewerkschaften ausländischen Mitgliedern zugestehen können, ohne ihre Legitimität gegenüber inländischen Arbeitnehmer*innen zu unterminieren. Das dritte Dilemma bezieht sich auf die Eigendefinition ihrer Rolle: Versteht sich die Gewerkschaft als Interessenvertretung aller Arbeitskräfte, so könnte das ihre Verhandlungsposition stärken, aber gleichzeitig zu Interessenkonflikten unter Gewerkschaftsmitgliedern führen (Penninx u. a. 2000; Marino u. a. 2015).
 
12
Damit würden sie paradoxerweise die gleiche Haltung wie Arbeitgeber*innen einnehmen (Menz 2011; Menz 2016a; Menz 2016b).
 
13
Im Gegensatz zu Freeman konstatieren Statham und Geddes, dass die objektive Verteilung von Kosten und Nutzen nur bedingt Aufschluss über die Interessenorganisation von Akteur*innen geben kann. Vielmehr sei Interessenorganisation davon abhängig, wie stark Migrationspolitik in der Öffentlichkeit ausgehandelt wird „and how certain positions are made to appear more feasible, reasonable, and legitimate, compared to alternative definitions of political reality“ (Statham und Geddes 2006, 251).
 
14
Statham und Geddes widersprechen damit Guiraudon, welche politischen und administrativen Eliten eine tendenziell liberale Einstellung attestiert (Guiraudon 1997, 207). Statham und Geddes erkennen jedoch für den Fall von Großbritannien eine parteipolitische Nuancierung in der restriktiven Haltung politischer Eliten: Durch die Labour Party dominierte Regierungen seien weniger restriktiv eingestellt als konservative Regierungen (Statham und Geddes 2006, 266).
 
15
Vgl. (Hampshire 2013, 110 ff.).
 
16
Anhand einer auf Expert*inneninterviews, Archiv- und Aktenmaterial basierenden empirischen Studie untersucht Soysal die Frage, wie Nationalstaaten die Integration von Migrant*innen gestalten. Es handelt sich dabei um eine komparative Studie zwischen Deutschland, Schweiz, Niederlande, Großbritannien und Schweden (Soysal 1994).
 
17
Als wohl prominentestes Beispiel könnte hier die Entstehung von Frontex im Rahmen der Grenzkontrollpolitik europäischer Außengrenzen genannt werden (Hampshire 2013, 103).
 
18
Beispielsweise wurden durch den Vertrag von Lissabon die Kompetenzen der Institutionen neu definiert (Ripoll Servent 2018, 109). Für detaillierte Änderungen, insbesondere im Bereich der europäischen Migrationspolitik, vgl. Parusel (2010).
 
19
Empirisch sei diese These jedoch kaum fundiert und bisher nur Gegenstand weniger Studien; vgl. die Zusammenstellung bei (Ripoll Servent 2018, 115).
 
20
Paradoxerweise steht die Position der Bundesrepublik während der Verhandlungen zur Blauen Karte EU in starkem Kontrast zur tatsächlichen Richtlinienumsetzung (Kolb und Fellmer 2015).
 
21
Das EU-Parlament wiederum, welches seit 2005 an der Seite des Rates als Ko-Gesetzgeber agiert, zeichne sich weder durch eine besonders liberale noch eine besonders restriktive Positionierung aus (Trauner und Ripoll Servent 2015).
 
22
Auch die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte spielen, obwohl er keine Institution der EU, sondern des Europarates ist, eine Rolle für die liberale Rechtsinterpretation des EuGH (Ripoll Servent 2018).
 
23
Zuvor konnten jeweils nur die höchsten Rechtsinstanzen der Nationalstaaten den EuGH für eine Frage zu Migrationsangelegenheiten anrufen, sodass eine äußerst begrenzte Anzahl von Fällen überhaupt beim EuGH landeten (Acosta Arcarazo und Geddes 2013, 180).
 
24
Für einen detaillierten Überblick über einzelne Fälle vgl. Acosta Arcarazo und Geddes (2013).
 
25
Für eine detaillierte Analyse der einzelnen Limitationen vgl. Ripoll Servent (2018).
 
26
Gerichtsbarkeiten beziehen sich hier auf sogenannte „high courts“ (Guiraudon 1997, 235), d. h. Gerichtsbarkeiten mit verfassungsrechtlicher Kontrollfunktion.
 
27
Guiraudon identifiziert sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen diesen beiden institutionellen venues (Guiraudon 1997, 274 f.). Das Beispiel bürokratischer venues für die Liberalisierung von Migrationspolitik wird in 3.2.3.1 detaillierter dargestellt.
 
28
Bezüglich der medialen Berichterstattung konstatiert Guiraudon: “Mishandling the media coverage of a reform project is a guarantee of failure” (Guiraudon 1997, 194).
 
29
Eine Gegenüberstellung von Gerichtsbarkeiten und Bürokratien als restricted venues ergibt, dass diese sich v. a. in ihrer Funktion als tendenziell oppositionelle Kraft (Gerichtsbarkeiten) bzw. regierungsnahe Vertretung (Bürokratien) unterscheiden (Guiraudon 1997, 274). Es ist außerdem anzunehmen, dass Regierungen eine politische Debatte in der Ministerialbürokratie eher „hinter verschlossenen Türen“ halten können als in der juristischen Sphäre (Guiraudon 1997, 275). Ein weiterer Unterschied liegt in den jeweiligen Akteur*innen, die Zugang zu diesen restricted venues haben. Während Interessenverbände wie Arbeitgeber*innen über privilegierte Zugangskanäle in die Ministerialbürokratie verfügen, zeigen sich NGOs stärker im Rahmen von Gerichtsverfahren.
 
30
Eine Reihe von Studien, welche häufig der Verwaltungswissenschaft zuzuordnen sind, hat sich bereits mit Sozialisierungsprozessen von Verwaltungspersonal bzw. administrativen und politischen Eliten auf europäischer und nationalstaatlicher Ebene auseinandergesetzt. Als Standardwerk hat sich das 1981 publizierte Werk „Bureaucrats and Politicians in Western Democracies“ von Joel D. Aberbach, Robert D. Putnam und Bert. A. Rockman etabliert, auf welches auch Guiraudon Bezug nimmt (Aberbach u. a. 1981). Für die Bundesrepublik ist besonders die „Konstanzer Elitestudie – Politisch Administrative Eliten (PAE) 2005“ von Relevanz (Schwanke und Ebinger 2006).
 
31
Kolb ordnet den Ansatz der policy communities in eine Forschungstradition mit „policy subgovernments“ bzw. „iron triangles“ ein, „in denen Vertreter von Legislative und Exekutive mit Verbandsfunktionären kartellartig kooperieren und die nicht nur die in einer normativen Perspektive postulierte Prärogative parlamentarischer Repräsentativkörperschaften umgehen, sondern auch einer mangelnden Kontrolle durch Gewaltenteilung und Öffentlichkeitsprinzip unterliegen“ (Kolb 2004, 151).
 
32
Hier kann wiederum auf Freeman verwiesen werden, der in Anlehnung an Lowi argumentiert, „[…] framing the debate is critical. Adversaries may seek to shape public discussion to turn a policy normally perceived as distributive into one that is understood to entail redistribution, thus mobilising new constituencies or demobilising others“ (Freeman 2006, 229).
 
33
In Anlehnung an Schmidt und Radaelli (2004) definieren Timmermans und Scholten scientific venues wie folgt: “Scientific venues include formal institutions as well as forums in which expert knowledge is proliferated, exchanged and negotiated” (Timmermans und Scholten 2006, 1106).
 
34
Timmermans und Scholten unterscheiden vier verschiedene frames, die für die Ausarbeitung von Migrationspolitik relevant sind: assimilationism frames, multiculturalism frames, universalism frames und differentialism frames (Scholten und Timmermans 2010, 530).
 
35
Timmermans und Scholten unterscheiden vier verschiedene Interaktionsmodi: “Each type involves different institutional positions and relationships between them, attributing primacy to experts or to policy makers, and demarcating the extent to which the two domains are set apart by different roles and modus operandi, or are close or overlapping” (Scholten und Timmermans 2010, 531). Sie unterscheiden zwischen enlightment model, technocratic model, bureaucratic model und engineering model. Für eine detaillierte Darstellung der Interaktionsmodelle vgl. Timmermans und Scholten (2010, 531).
 
36
Politicization kann als ein Konzept definiert werden, das verschiedene Erklärungsdimensionen miteinander vereint, die wiederum akteur*innen- und strukturzentrierte Elemente einschließen. Häufig allerdings verweisen Migrationspolitikforscher*innen auf Politisierung bzw. Depolitisierung ohne ihr Verständnis der Begriffe konkret darzulegen.
 
37
Abou-Chadi findet wiederum empirische Belege dafür, dass der parteipolitische Wettbewerb bei geringen Politisierungsniveaus keine bedeutende Rolle für die Verabschiedung liberaler Migrationspolitik darstellt (Abou-Chadi 2016, 2099–2100).
 
38
Am Beispiel der Migrationspolitik für Hochqualifizierte kommt Kolbe zu dem Ergebnis, dass eine argumentative Verknüpfung mit umstrittenen und kontrovers diskutierten Sachverhalten wie Integrationspolitik eine Politisierung begünstigen (Kolbe 2020, 8).
 
39
Der amerikanische Soziologe Perlmutter etwa findet empirische Evidenz für eine Abweichung der weit verbreiteten Annahme, dass moderat eingestellte Parteien, die das politische System stützen („pro-system parties“) und politische Lösungen stärker „im Verborgenen“ aushandeln, tendenziell liberalere Migrationspolitik verabschieden als radikale Parteien („anti-system parties“), die auf eine öffentliche Diskussion politischer Lösungsansätze setzen (Perlmutter 1996, 377).
 
40
In der Migrationspolitikforschung wird hier in der Regel zwischen right wing, left wing und coalition government unterschieden (Guiraudon 1997; Hampshire und Bale 2015).
 
41
Als möglichen Erklärungsfaktor für diesen Konsens führt Guiraudon den von Freeman vorangestellten „constrained discourse over immigration“ (Freeman 1995, 883) an. Vgl. hierzu auch 2.​2.​1. Auch das Anerkennungsgesetz repräsentiert ein Beispiel eines starken parteipolitischen Konsenses, vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 6.
 
Metadaten
Titel
Theoretische Erklärungsmodelle liberaler Migrationspolitik
verfasst von
Amélie Haag
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-37292-7_3

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