Skip to main content

2022 | OriginalPaper | Buchkapitel

8. Erweiterte theoretische Perspektive und daraus abgeleitete Ergebnisse

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
loading …

Zusammenfassung

Bisher wurde in diesem Buch eine paradigmatische Perspektive der Kybernetik erster Ordnung eingenommen. In diesem Kapitel wird nun ein Paradigmenwechsel zur Kybernetik zweiter Ordnung und zum radikalen Konstruktivismus nahegelegt, um eine ganzheitlichere systemische Sicht auf komplexe Organisationsprobleme zu ermöglichen. Neben grundlegenden Annahmen des Konstruktivismus/Kybernetik zweiter Ordnung werden Prinzipien der Emergenz und Autopoiesis sowie das Modell ‚Spiral Dynamics‘ angeführt. Daraus ergeben sich erweiterte Handlungsempfehlungen für einen erfolgreichen Umgang mit komplexen Organisationsproblemen, sodass das ‚systemorientierte Tiefenanalyseverfahren‘ anschließend erneut bezüglich seiner Effektivität bewertet wird. Das Kapitel schließt mit den zentralen Forschungsergebnissen in Form von zwölf ‚erkenntnisleitenden Thesen‘ sowie einer ‚Grounded Theory‘ ab. Außerdem erhalten Führungskräfte und Manager*innen zusammenfassende Empfehlungen für einen erfolgreichen Umgang mit komplexen (Organisations-)Problemen.

Sie haben noch keine Lizenz? Dann Informieren Sie sich jetzt über unsere Produkte:

Springer Professional "Wirtschaft+Technik"

Online-Abonnement

Mit Springer Professional "Wirtschaft+Technik" erhalten Sie Zugriff auf:

  • über 102.000 Bücher
  • über 537 Zeitschriften

aus folgenden Fachgebieten:

  • Automobil + Motoren
  • Bauwesen + Immobilien
  • Business IT + Informatik
  • Elektrotechnik + Elektronik
  • Energie + Nachhaltigkeit
  • Finance + Banking
  • Management + Führung
  • Marketing + Vertrieb
  • Maschinenbau + Werkstoffe
  • Versicherung + Risiko

Jetzt Wissensvorsprung sichern!

Springer Professional "Wirtschaft"

Online-Abonnement

Mit Springer Professional "Wirtschaft" erhalten Sie Zugriff auf:

  • über 67.000 Bücher
  • über 340 Zeitschriften

aus folgenden Fachgebieten:

  • Bauwesen + Immobilien
  • Business IT + Informatik
  • Finance + Banking
  • Management + Führung
  • Marketing + Vertrieb
  • Versicherung + Risiko




Jetzt Wissensvorsprung sichern!

Fußnoten
1
Laut Simon (2011: 12) bilden Systemtheorie und Konstruktivismus die Basis für ein ‚systemisches Denken‘. Demnach handelt es sich ohne Einbezug der Annahmen des radikalen Konstruktivismus bzw. der Kybernetik zweiter Ordnung um eine unvollständige ‚systemische Sicht‘.
 
2
Aus diesem Grund habe ich zu Beginn den Begriff des gemäßigten Konstruktivismus verwendet, um ihn von einer radikalen Ausprägung zu unterscheiden.
 
3
Wie oben angeführt wurde, geht Gehlert (2020: 555) in seiner interdisziplinär ausgerichteten Arbeit u. a. auf einen quantenphysikalischen Erklärungsansatz für das Phänomen der ‚repräsentierenden Wahrnehmung‘ ein, das der Methode Systemaufstellung zugrunde liegt. Dazu erwähnt er einen konstruktivistischen Anteil der Methode, indem er schreibt: Es „darf von einer Superposition (Überlagerung) unzähliger, gleichzeitiger Gedanken und Möglichkeiten ausgegangen werden, die erst im Moment einer bewussten Wahrnehmung selbiger zu einem Faktum kollabieren“ (ebd.: 554). Hier bezieht sich Gehlert auf bekannte quantenphysikalische Erkenntnisse, indem menschliche Wahrnehmung zur Dekohärenz (Wellenkollaps) und damit zum „Entstehen einer eigenständigen Welt“ (ebd.: 562) beiträgt. Hierzu kann auch auf den Quantenphysiker Vedral (2011: 32) verwiesen werden, der zum Quantenverhalten in makroskopischen Größenverhältnissen schreibt: „Die Quantenmechanik widerspricht der Alltagserfahrung und zwingt uns, unser Weltbild zu revidieren.“ Demnach stehen quantenphysikalische Erkenntnisse mit Fragen der Wirklichkeitskonstruktion und dem (radikalen) Konstruktivismus in einem direkten Zusammenhang. Zugleich kann zu Gehlerts Hinweisen zur konstruktivistischen Wirkung einer Systemaufstellung m. E. die These aufgestellt werden, dass im Alltag jeder Mensch sich selbst (mehr oder weniger bewusst) im Beziehungsgefüge mit anderen (lebenden und unbelebten) Objekten wahrnimmt und sich damit (zumindest im Wachzustand) ständig in der ‚Aufstellung seines Lebens‘ befindet – mit der Folge, dass auch hier Wahrnehmung zu Dekohärenz und zum Entstehen von (subjektiver) Wirklichkeit beiträgt.
 
4
Müller-Christ und Pijetlovic (2018: 82) verweisen hinsichtlich der Methode Systemaufstellung auf eine Selbstbezüglichkeit und schreiben mit Verweis auf die Weisheit am Eingang des Apollotempels: „,Erkenne dich selbst‘ steht auch virtuell über jedem Aufstellungsprozess und hat Bedeutung für alle am Prozess Beteiligte[n].“
 
5
Laut von Foerster (von Foerster/Pörksen 2004: 114 f.) ist der maßgebliche Unterschied zwischen der Kybernetik erster und zweiter Ordnung folgender: „Die Kybernetik erster Ordnung trennt das Subjekt vom Objekt, sie verweist auf eine vermeintlich unabhängige Welt ‚da draußen‘. Die Kybernetik zweiter Ordnung oder die Kybernetik der Kybernetik ist selbst zirkulär: Man lernt sich als Teil der Welt zu verstehen, die man beobachten will.“
 
6
Watzlawick bezieht sich dabei u. a. auf Ergebnisse von Untersuchungen, die an einer Schule durch Mitwirkung des Psychologen Rosenthal geleitet wurden (vgl. Rosenthal/Jacobson 1976). Zugleich betont Watzlawick (2006: 98), dass das Experiment auch mit menschlichen Versuchsleitern und Ratten funktioniert.
 
7
Luhmann (2002: 140) betont, dass in „der modernen Gesellschaft die Beobachtung der Beobachter, das Verlagern von Realitätsbewusstsein auf die Beschreibung von Beschreibungen, auf das Wahrnehmen dessen, was andere sagen oder was andere nicht sagen, die avancierte Art, Welt wahrzunehmen, geworden ist, und zwar in allen wichtigen Funktionsbereichen, in der Wissenschaft ebenso wie in der Ökonomie, in der Kunst ebenso wie in der Politik. Man informiert sich über Sachverhalte nur durch den Blick auf das, was andere darüber sagen“ (ebd.: 140 f.). Diese Hinweise sind u. a. aus dem Grund zentral, wenn davon ausgegangen wird, dass Beobachtung subjekt-gebunden ist und es aus Sicht des radikalen Konstruktivismus keine ‚objektive‘ Beobachtung gibt. Beobachtungen ‚zweiter Ordnung‘ entsprechen aus einer solchen Perspektive einer gerichteten Beobachtung und einer varietätsreduzierenden ‚Vorfilterung‘ mit entsprechender wirklichkeitskonstruierender Wirkung.
 
8
Um die Selbstbezüglichkeit des erkennenden Subjekts zu verdeutlichen, könnte m. E. der Begriff der ‚Selbsterkenntnistheorie‘ eingeführt werden.
 
9
Flick (2014: 127) betont, dass der Konstruktivismus auch Auswirkungen auf die Entwicklung von Theorien hat: „Theorien sind demnach nicht (richtige oder falsche) Abbildungen gegebener Fakten, sondern Versionen oder Perspektiven, in denen die Welt gesehen wird.“ Auch Steinke (1999: 95) verweist auf Implikationen, die eine solche paradigmatische Sichtweise auf die Bewertung wissenschaftlicher Theorien und Erkenntnisse haben, was im Verlauf dieser Arbeit erneut thematisiert wird.
 
10
Im Unterschied dazu sollte dem Biologen und Hirnforscher Roth (1990: 283) zufolge der Begriff Autopoiesis biologischen Systemen vorenthalten sein. Für soziale Systeme (bspw. Organisationen) schlägt Roth (ebd. – kursiv in Quelle) vor, von einer Theorie „selbstreferentieller Systeme“ zu sprechen, wobei „der Begriff der Selbstreferentialität als Oberbegriff zu verwenden“ (ebd.) ist.
 
11
Der Philosoph und Autor im Bereich einer Integralen Theorie sowie ‚Spiral-Dynamics‘-Kenner Wilber (2000: 6) betont, dass das Ebenenmodell auf zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen basiert: „… virtually all of the stage conceptions … are based on extensive amounts of research and data. These are not simply conceptual ideas and pet theories, but are grounded at every point in a considerable amount of carefully checked evidence“.
 
12
Hierbei zeigt sich eine Parallele zur zweistufigen Hierarchie der Bedürfnispyramide nach Maslow, worauf Nerdinger (2003: 113) hinweist: in Maslows Modell wird zwischen sog. Defizit- und Wachstumsmotiven unterschieden. Diesbezüglich hebt Nerdinger den Umstand hervor, dass „zuerst die Motive der jeweils ‚niederen‘ Klasse befriedigt sein [müssen], bevor eine ‚höhere‘ Motivklasse aktiviert wird und das Handeln bestimmen kann“ (ebd.).
 
13
Eine Annahme des Modells ist, dass sich die Ebenen der ersten in der zweiten Ordnung wiederholen (ebd.: 436). So spiegelt sich auf der Ebene Gelb das Thema des Überlebens der Ebene Beige, jedoch auf einem höheren Komplexitätsniveau, da dies nun „im Kontext einer schnelllebigen, informationsgeladenen, sehr interaktiven Welt [geschieht]. (…) In Gelb spürt man, dass die erfolgreichen Lebensweisen in der ersten Ordnung (First Tier) alles gefährden“ (ebd.: 440 f.). Zudem wird auf der Ebene Gelb erkannt, dass „in einer solchen Umgebung … eindeutig neue soziale Prioritäten und Weisen der Entscheidungsfindung vonnöten“ (ebd.: 441) sind. Der Philosoph Wilber (2001: 24 f.) kommentiert das neuartige Bewusstsein der zweiten Ordnung wie folgt: „Da das Sekundärschicht-Bewußtsein sich der inneren Entwicklungsstufen bewußt ist …, erfaßt es das große Bild aus einer Vogelperspektive. … [Es] denkt in Begriffen der Gesamtspirale des Seins und nicht nur in Begriffen einer bestimmten Ebene.“
 
14
Beck und Cowan (2017: 21) verweisen auf den Begriff ‚Verstandeswerkzeug‘ hinsichtlich der notwendigen weiterführenden Entwicklung: Ihrer Ansicht nach wird in den höheren Ebenen, insbesondere ab Türkis, „der ausgiebige Gebrauch von Verstandeswerkzeugen und Kompetenzen zur globalen Wirklichkeit“.
 
15
Diese Sicht vertritt offenbar auch Deming 1991 in einem Seminar für CEOs, indem er gemäß dem Berater Moen (1994: 7:47) zu den Seminarteilnehmenden sagt: „If you change yourselves your companies will automatically be changed.“
 
16
Weiter oben wurde u. a. mit Schein (2010: 123 f.) darauf hingewiesen, dass es für erfolgreiche Veränderungsprozesse auch eines begleitenden Coachings bedarf.
 
17
Ähnlich macht Flick (2014: 127) auf eine wahrnehmungsfilternde Wirkung einer zugrunde gelegten Theorie aufmerksam: „Durch die Formulierung einer Version [i. S. einer Theorie] und durch die Sichtweise auf die Welt, die sich in ihr verbirgt, wird die Wahrnehmung der Welt in einer Weise bestimmt, die wiederum die soziale Konstruktion dieser Sichtweise und darüber der Welt um uns herum beeinflusst.“ Demnach besteht eine rückgekoppelte und zugleich eine sich selbstbestätigende Wirkung einer Theorie – ganz im Sinne einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung.
 
18
Dazu kann auch auf Simon (2001: 265) verwiesen werden, laut dem das Wissen um eine Theorie das Lernen fördern kann. Außerdem hebt Malik (1985: 208) hervor, dass „kybernetisches Management jede Beeinflussung eines Systems durch Veränderung der Informationslage im System“ bedeutet und es dafür seiner Ansicht nach Weiterbildungen bedarf, da es „gerade die nicht oder nur nach entsprechender Schulung dem Bewusstsein zugänglichen Mechanismen [sind], die die entscheidende Regulierungskraft besitzen“ (ebd.).
 
19
Rapoport (1985: 150) führt zum ‚Zustand‘ eines Systems an: „Der Zustand ist zu jedem Zeitpunkt als die jeweilige Menge der Werte einer Menge von Variablen definiert.“
 
20
Der Hebel (Führungskräfte-)Coaching wurde bereits aus Sicht der Kybernetik erster Ordnung angeführt. Hier geht es darüber hinaus um eine systemisch-konstruktivistische Ausrichtung des benötigten Coachings.
 
21
Simon (2006: 16) verweist darauf, dass ‚Denken‘ auch als Einheit von Denken und Fühlen aufgefasst werden kann. Auch wenn eine enge Kopplung besteht, betone ich mit der Abbildung zum erweiterten ‚systemorientierten Tiefenanalyseverfahren‘, dass für einen veränderten autopoietischen Kreislauf nicht nur u. a. grundlegende Überzeugungen, sondern auch die Emotionen der Menschen bspw. im Rahmen von speziellen Coachings thematisiert und bei Bedarf ‚bearbeitet‘ werden sollten. Dies ist aus dem Grund ‚revolutionär‘, als dass bisher in der Arbeitswelt zumeist eine bewusste Ausgrenzung von Gefühlen und Emotionen ‚kultiviert‘ wird.
 
Metadaten
Titel
Erweiterte theoretische Perspektive und daraus abgeleitete Ergebnisse
verfasst von
Violetta Neumann-Wolff
Copyright-Jahr
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-38657-3_8

Premium Partner