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2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

13. Grenzen der Kommunikationsmacht oder: Konstituiert Kommunikation Organisation?

verfasst von : Jo Reichertz

Erschienen in: Kommunikationsmacht

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Kommunikation, so die Hauptthese dieses Buches, ist immer kommunikatives Handeln in einem Handlungsfeld. Dies führt notwendigerweise dazu, dass es zu einem kommunikativen Mit- und Gegeneinander kommt, da die Akteure unterschiedliche Interessen haben und über unterschiedlichen Ressourcen körperlicher, sozialer und kommunikativer Macht verfügen. Kommunikatives Handeln dient im Wesentlichen nicht dazu, anderen Botschaften über die Welt oder den eigenen Gemütszustand zukommen zu lassen, also geht es im Wesentlichen nicht darum, anderen Informationen darüber zukommen zu lassen, was man über die Welt und die anderen und sich selbst denkt und was man fühlt.

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Fußnoten
1
Diese Einsicht ist in der deutschen Wissenssoziologie durchaus bekannt. So beschreibt Hubert Knoblauch Organisationen auf folgende Weise: „Organisationen können […] als ein zeitlich sequenzierter Kommunikationszusammenhang angesehen werden, der aus der Verknüpfung von semiotisch dekontextualisierten Kommunikationsprodukten und deren Rekontextualisierung im Rahmen kollektiver Kommunikationsereignisse besteht. […] Organisation ist somit eine prozessuale, dynamische Einheit, die sich dadurch erhält, daß [sic!] sie fortwährend neue, aber konventionalisierte Kommunikationsereignisse hervorbringt.“ (Knoblauch 1997: 18).
 
2
Allein schon diese Wortwahl zeigt, wie eng die Montreal Schule mit den Ideen von Austin und Searle verbunden war und immer noch ist. Ein weiterer Hinweis für die Verbindung zu Sprechakttheorie ist der Umstand, dass communication als zentrale Handlung betrachtet wird und nicht interaction, auch wenn in diesem Ansatz Kommunikation ausdrücklich als kommunikatives Handeln begriffen wird.
 
3
Zur Erläuterung: Weick versucht in seiner Arbeit Organisationen als Erscheinungen zu begreifen, die durch einen permanenten Prozess des Organisierens gekennzeichnet sind, der ständig Sinn produzieren muss. Aber: „How can I know what I think until I see what I say?“ (Weick 1979: 133). Die Antwort Weicks ist komplex: ‚Sensemaking‘ gelingt in Organisationen nur, wenn enactment, selection and retention in Organisationen stattfindet. „The term 'enactment' is used to preserve the central point that when people act, they bring events and structures into existence and set them in motion. People who act in organizations often produce structures, constraints, and opportunities that were not there before they took action.“(Weick 1988: 306).
Der Satz „How can I know what I think until I see what I say?“ wird im Übrigen von Weick als Zitat ausgewiesen. Wer letztlich der/die Ursprungsautor_in war, lässt sich schwer bestimmen – so findet sich der Satz so oder so ähnlich bei Graham Wallas, E. M. Foster, Arthur Koestler, Jerome S. Bruner oder C. S. Lewis – um nur einige zu nennen (https://​quoteinvestigato​r.​com/​2019/​12/​11/​know-say/​).
Demnach bringen Menschen in Organisationen durch ihre auf die Organisation bezogenen Handlungen (a) das organisationale Gefüge hervor und schreiben es weiter (enactment), auch indem sie (b) Ein- und Ausschlussleistungen mit Blick auf die Selektion von Sinneinheiten vollführen (selection), die in der jeweiligen Organisation Geltung beanspruchen können und (c) indem sie die Selektionen, durch die Deutung innerhalb der Organisation gemachter Erfahrungen vornehmen (retention). Die Organisation ist in der Kommunikation der Mitarbeiter_innen also einen Ausgangspunkt, zum anderen Zielgröße des Organisierens. Kommunikation innerhalb der Organisation ist für Weick das Handeln, dass die Organisation erst herbeiführt – oder in seinen Worten: „the communication activity is the organization“ (Weick, 1995: 75).
 
4
Obwohl die Montreal Schule immer wieder auch einräumt, dass auch nonverbales kommunikatives Handeln von Bedeutung ist, ist aber die sehr starke Betonung sprachlicher Interaktion kennzeichend für diesen Ansatz. So zum Beispiel die Formulierung von Taylor: „My theoretical investigation of the constitution of organization in communication is predicated on one basic assumption, that human communication is primarily mediated by language. This is not to downplay the considerable role played by non-verbal and para-linguistic signals, nor by artifacts, as everyday as the way workspaces are configured and as elaborate as the architecture of a whole city. Nevertheless, by far and away the most important (and flexible) of all means we possess to communicate is language.“ (Taylor 2009: 156 f.).
 
5
Wenn Vertreter der CCO-Position sagen, dass Texte maßgeblich in jede Konversation hineinragen, dann ist das in der allgemeinen Form sicherlich richtig. Aber man muss hier zwischen den Arten der Texte unterscheiden und natürlich auch genau darauf achten, welche Akteure innerhalb und außerhalb der Organisation diese verfasst haben und welche mit welcher Macht diese Texte bzw. deren Autoren ausgestattet sind. Der offene Brief eines Mitarbeiters, der am schwarzen Brett hängt, ist sicherlich ein solcher Text, aber auch das Telefonverzeichnis, die grafische Darstellung der Linienführung, das für die Presse angefertigte Selbstverständnis, die Tarifverträge, das Grundgesetz und das europäische Recht, um nur einige dieser Texte zu nennen. Manche dieser Texte stammen von Autoren, die mehr oder weniger der Organisation angehören und durch den Text explizit die Organisation von innen beeinflussen wollen, andere Texte stammen von Akteuren außerhalb der Organisation, die möglicherweise auch dazu fähig und auch dazu legitimiert sind, der Organisation die Existenz zu rauben. Und natürlich ist entscheidend, von welchen Akteuren die Texte wie eigenständig angeeignet werden.
 
6
Hier wendet man sich also ab von dem kommunikativen Handeln von Subjekten, sondern betont die Handlungsmacht von Texten. Damit eröffnet sich zwei Wege: Einerseits der Weg, dass man die Akteure hinter den Texten sieht und damit deren Macht. Dann scheint eine Sozialtheorie auf, welche Texte als Ergebnis von machtstrukturierten Prozessen begreift. Diesen Weg geht teilweise Foucault. Man kann jedoch den Textbegriff noch weiter fortführen und hinter dem Text nicht mehr Akteure sehen, sondern den Text als Akteur begreifen, der von sich aus prozessiert und die anderen nur das sprechen lässt, was sprechbar und sagbar ist. Texte sind dann keine Schriftstücke und Akten mehr, sondern sie sind das entstandene Geflecht von Sprechgeschichten. Text ist entmaterialisiert und die jeweiligen Sprecher_innen sind Knotenpunkte von Sprechgeschichten.
 
7
Auch in Organisationen sind Gefühle relevant und zwar sowohl die Gefühle für die Kollegen und Kolleginnen am Arbeitsplatz und in der Organisation, aber auch die Gefühle gegenüber der Organisation.
 
8
Sicherlich hat jede Sprache eigene Formen des Denkens und der Rationalisierung entwickelt. Insofern enthält die Sprache Anweisungen der Vorgängergenerationen, wie die Welt wahrzunehmen und zu interpretieren ist. Das ist bekannt und gut begründet (Humboldt, Weisgerber, Schütz, Berger/Luckmann). Aber aktiv wird die Sprache nie. Aktiv sind die Sprecher, welche die Sprache gebrauchen und in und durch ihren Gebrauch verändern. Sprache allein hat nicht die Macht, Organisation zu gründen oder ins Leben zu rufen oder zu erhalten. Entscheidend ist also nicht, was gesagt wird oder in welcher Sprache es gesagt wird, sondern von wem es gesagt wird und welche Macht dabei zur Durchsetzung des mit dem Sprachgebrauch verbundenen Anspruchs eingesetzt wird.
 
9
Maggie Kusenbach (Miami) und Dirk von Lehm (London), denen ich hier für ihre Unterstützung ganz herzlich danken möchte, haben auf meine Anfrage, wie man am besten constitute übersetzt, ähnliche Vorschläge gemacht. Für sie ist es sinnvoll dieses Wort mit kreieren, festlegen, erbauen und auch mit gründen (in den USA ist the "constitution" das Grundgesetz) zu übersetzen.
 
10
Siehe auch Taylor/van Every 1999: 141 ff., welche die sozialkonstruktivistische Perspektive als „Flatland“-Perspektive begreifen.
 
Metadaten
Titel
Grenzen der Kommunikationsmacht oder: Konstituiert Kommunikation Organisation?
verfasst von
Jo Reichertz
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-31635-8_13