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2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

12. Mediatisierung, Medialisierung und Kommunikationsmacht

verfasst von : Jo Reichertz

Erschienen in: Kommunikationsmacht

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

In der ersten Auflage des Buchs Kommunikationsmacht untersuchte ich, und das ist erst einmal vielleicht für Soziologen verwunderlich, die Kommunikationsmacht von Einzelnen gegenüber Einzelnen. Zudem konzentriere ich mich auf das kommunikative Handeln in Kopräsenz, wenn also Menschen in bestimmten Situationen mit gegenseitiger Wahrnehmung ihrer Körper miteinander ihr Handeln aufeinander abstimmen. Meine Ausführungen zu Kommunikationsmacht beschränken sich also in der Tat auf den Bereich der unmittelbaren Interaktion und hier folge ich, wie in vielen meiner Überlegungen Goffman, der 1982 in seiner Antrittsrede als Präsident der American Sociological Association sagte, dass es in „all den Jahren“ sein großes Anliegen war, „Anerkennung dafür zu finden, dass diese Sphäre der unmittelbaren Interaktion der analytischen Untersuchung wert ist – eine Sphäre, die man auf der Suche nach einem treffenden Namen, Interaktionsordnung nennen könnte, eine Sphäre, die am besten mit den Mitteln der Mikroanalyse untersucht werden sollte“ (Goffman 1994: 55).

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Fußnoten
1
Nun könnte man einwenden, Donald Trump sei ein Gegenbeispiel für diese These. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich schnell, dass genau dies für ihn gilt. Denn für seine Anhänger, für die Mitglieder des Trump-Kults, verkörpert er einen bestimmten Charakter, dem er auch treu bleibt. Denn in ihren Augen antwortet Trump auf die als passiv-aggressiv empfundene Rede der politisch Korrekten mit einer aktiven und skrupellosen Aggressivität des politischen Inkorrekten. Trump ist in den Augen seiner Anhänger der Einzige, der es wagt, die Verschwörung des ‚tiefen Staates‘ aufzudecken und dagegen anzukämpfen. Mit allen Mitteln. Deshalb hat Deutschland sehr viel Kommunikationsmacht, was in nicht daran hindert, auch mit seiner sozialen/ökonomischen Macht und der körperlichen Gewaltbereitschaft seiner Anhänger zu drohen.
 
2
Bereits Aristoteles hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die Überzeugungskraft (= Kommunikationsmacht) eines Redners ganz wesentlich davon abhängt, dass man ihm vertraut, dass man denkt und glaubt, dass er Ethos besitzt und für das Gesagte einsteht (Aristoteles 1999). „Der Orator […] ist der archimedische Punkt der Rhetoriktheorie“ des Aristoteles (Knape 2000: 33). Nur wenn dem Redner dies (so Aristoteles) in der Rede und mit der Rede gelingt, lässt ihn das für die Zuhörenden glaubhaft erscheinen. Der Charakter des Redners, sein Ethos, hat „fast die bedeutendste Überzeugungskraft“ (Aristoteles 1999: 12). In der mediatisierten Gesellschaft sind die Anforderungen allerdings höher geworden: Der Redner muss in allen seinen öffentlichen und medial aufgezeichneten Reden, (heute: Performances) glaubhaft erscheinen und den immer gleichen Charakter, die gleiche Persona, darstellen.
 
3
Figurationen im Sinne von Norbert Elias sind sich wandelnde Netzwerke von Individuen, die untereinander abhängig sind, und zwar aufgrund der Verflechtungen miteinander oder kurz: Figuration sind dynamische soziale Netzwerke von untereinander abhängigen Individuen (Elias 2010: 141 f., siehe auch Hepp 2021: 146 f.). Die Besonderheit der Figuration konstituiert sich durch die jeweils erworbenen Machtchancen und Abhängigkeitsverhältnisse untereinander. Macht wird dabei von Elias begriffen als „relative Spielstärke“ (Elias 2010: 77) und diese bezieht sich auf „die Gewinnchancen des einen Spielers im Verhältnis zu den eines anderen“ (Elias 2010: 77). Zu unterscheiden ist zwischen Figurationen, also sozialen Konstellationen, die durch die jeweilige Abstammungsgeschichte eines Individuums zustande kommen und die mehr oder weniger stabil sind, die über eine familiengeschichtlich erworbene Vorstellung eines generalisierten Anderen integriert werden, und Gruppen, die durch bestimmte erworbene und geschaffene soziale Relationen sich konstituieren, die im Wesentlichen durch die Schaffung eines eigenen generalisierten Anderen integriert werden.
 
4
Von dieser für Massenmedien typischen one-to-many-Kommunikation ist die one special-to-many-Kommunikation, die mit Twitter möglich ist, zu unterscheiden. Dass man damit die Massenmedien geradezu unterlaufen kann, hat Donald Trump gezeigt – auch wie man damit Kommunikationsmacht entfalten kann.
 
5
Der deutschen Kommunikationswissenschaft ist dieser Denkfehler, nämlich dass massenmediale Kommunikation etwas grundsätzlich anderes ist als personale Kommunikation, seit ihrer Gründung eingeschrieben – nämlich als sie mediale Kommunikation zu ihrem Gegenstand erklärte, ohne dabei jedoch personale Kommunikation als Ausgangspunkt der Analyse zu nehmen (Reichertz 2017). Mithin fehlten ihr oder besser: jenen Teilen der deutschen Kommunikationswissenschaft, die sich auf die Analyse von Massenmedien und deren Wirkung konzentrieren, die Grundlagen für das Verständnis der Wirkung von Kommunikationsprozessen. Sicherlich spielen Medien in der Kommunikation eine wichtige Rolle, das haben sie getan, seit es Medien gibt. Aber medialisierte Formen der Kommunikation zu untersuchen, ohne zu wissen, wie nicht-medialisierte Kommunikation funktioniert, bedeutet, seine Burg auf Sand zu bauen.
 
Metadaten
Titel
Mediatisierung, Medialisierung und Kommunikationsmacht
verfasst von
Jo Reichertz
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-31635-8_12