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2024 | OriginalPaper | Buchkapitel

15. Individualisierung – Interkulturalität – Kommunikationsmacht

verfasst von : Jo Reichertz

Erschienen in: Kommunikationsmacht

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Keine Sozialtheorie kommt ohne Annahmen über die Natur des Menschen aus. Meist jedoch implizit. Natürlich liegt auch dem Konzept der Kommunikationsmacht eine implizite Anthropologie zugrunde – gepaart mit einer spezifischen Zeitdiagnose zur Besonderheit der Moderne. Diese Anthropologie ruht auf Ideen, die dem amerikanischen Pragmatismus (Peirce, Mead, Dewey), der philosophischen Anthropologie von Plessner und der Wissenssoziologie (vor allem in der Variante von Berger/Luckmann 1969) entstammen.

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Fußnoten
1
Und hier insbesondere in Abschn. 10.​5.​1 zu den fünf Disziplinierungen des Kommunizierens.
 
2
Bei Reckwitz, der durchaus ähnlich argumentiert, bringt die aktuelle Entwicklung einen Druck in Richtung Singularisierung mit sich. „Bei Singularitäten handelt es sich um Entitäten, die innerhalb von sozialen Praktiken als besondere wahrgenommen und bewertet, fabriziert und behandelt werden. Singularitäten sind das Ergebnis von sozial-kulturellen Prozessen der Singularisierung. (…) Wenn das Allgemein-Besondere die Variation des Gleichen bezeichnet und die Idiosynkrasie die vorsoziale Eigentümlichkeit, dann ist die Singularität sozialkulturell fabrizierte Einzigartigkeit“ (Reckwitz 2017: 50 f.).
 
3
Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Poferl und Schröer (2021) gehen ausdrücklich nicht diesen Weg, denn sie sehen nicht den Zerfall als Faktum an, sondern als eine drohende Möglichkeit, der die Menschen jedoch entgehen können – nämlich indem sie gemeinsam „kommunikative Passungen und Institutionen“ aufbauen. Allerdings bleiben diese neu gesponnenen Beziehungsgewebe fragil (ebenda: 109). Die Perspektiven der an der Kommunikation Beteiligten können nicht in Hinsicht auf die zu lösenden Handlungsprobleme zur „vollen Deckung kommen“ (ebenda). Ein Gelingen der Kommunikation ist deshalb schwierig, auch weil wir für den Anderen und für uns selbst stets ein „wenig geheimnisvoll und undurchschaut“ (ebenda) bleiben. Verständigung „ist in jedem Fall davon abhängig, ob es den Beteiligten wechselseitig möglich wird, sich so etwas wie eine verstehend an verwandelnde und zugleich Erfahrungsungleichheit akzeptierende (Beziehungs-)Haltung entgegenzubringen“ (Poferl/Schröer 2021: 110).
 
4
So ist, nachdem in Frankreich 1539 französisch als Amtssprache eingeführt worden war, im Jahr 1635 die Académie francaise damit beauftragt worden, an der Vereinheitlichung des Französischen zu arbeiten und diese zu überwachen.
 
5
Der immer wieder prognostizierte und diagnostizierte Zwang zur Individualisierung und zur Subjektivierung hat aus meiner Sicht nur sehr begrenzt zu einer tatsächlichen Individualisierung in der Weise geführt, dass jeder einzelne tatsächlich einzigartig geworden ist und zwar im Hinblick auf das, was er denkt, wie er entscheidet, an was er glaubt und nach welchen Normen er handelt. Unter dem Banner, eine einzigartige Individualität sein zu wollen, haben sich uniforme Kulturen der Selbstdarstellung entwickelt, die in großer Einmütigkeit Ähnliches tun und sich in gleicher Weise darstellen. Ein Beispiel hierfür ist z. B. die Selbstdarstellungspraxis auf der Beziehungsanbahnungsplattform Tinder. Hier sind alle Nutzer_innen aufgefordert und bestrebt, sich einzigartig in ihrer Einzigartigkeit darzustellen – müssen sie sich doch von anderen unterscheiden und damit von ihnen abheben. Man könnte vermuten, dass hier Kreativität und Einzigartigkeit Programm ist. Untersucht man diese Darstellungen, also die Selbstsemiotisierungen der Nutzer_innen, dann zeigt sich jedoch, dass sie alle versuchen, sich an bestimmte Vorstellungen von gesellschaftlich anerkannter Attraktivität anzugleichen – was zur Folge hat, dass sie einander sehr ähnlich sind (vgl. Degen/Kleeberg-Niepage 2021).
 
6
Hier ein Beispiel für diese kommunikativen Korrekturprozesse, die sich im Alltag überall finden. Auch im akademischen – so z. B. in einer Prüfung im Fach Soziologie. Sie ist die Prüferin, er der Prüfling.
Sie: „Spielen nach Goffman alle Menschen wirklich Theater?“
Er: „Ja, weil sie nicht anders können, da man nicht außerhalb von Rollen agieren kann, will man verstanden werden.“
Sie: „Mhm …“
Er: „Und natürlich spielen Menschen immer Theater, weil sie es müssen, wollen sie andere mit ihrem Ausdruck beeinflussen. Ohne Darstellung keine Wirkung.“
Sie: „So, meint Goffman wirklich, dass wir alle Theater spielen?“
Er: „Ach so, das meinen Sie. Natürlich spielen wir nicht Theater, außer wir stehen auf einer Theaterbühne. Aber was Goffman sagen will ist, dass man das Handeln der Menschen mit Begriffen beschreiben kann, die der Theatermetaphorik entnommen sind – darauf weist Goffman auch ausdrücklich hin. Sie haben natürlich Recht: Wenn wir in unserem Alltag handeln, spielen wir nicht Theater. Wir handeln. Nur für Soziolog_innen kann es hilfreich sein, bestimmte Aspekte des Handelns der Menschen so zu beschreiben als seien diese Schauspieler auf einer Bühne.“
Sie: „Gut!“
Er (denkt): Gewonnen, gerade noch einmal rechtzeitig verstanden, auf was die Prüferin hinauswollte.
 
Metadaten
Titel
Individualisierung – Interkulturalität – Kommunikationsmacht
verfasst von
Jo Reichertz
Copyright-Jahr
2024
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-31635-8_15