Die Diskussion um den Fachkräftemangel schießt häufig am eigentlichen Knackpunkt vorbei. Grund dafür ist eine pauschalisierende Betrachtung der Situation. Eine Studie zeigt nun die wirklichen Problemzonen des Arbeitsmarktes.
Was macht Unternehmen erfolgreich? Nach der Premiere im vergangenen Jahr haben sich die Steuerberatungsgruppe ETL und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) nun erneut aufgemacht, um im Mittelstandkompass 2022 die Erfolgsfaktoren und Herausforderungen der deutschen Wirtschaft zu durchleuchten. Diese sind knapp benannt: Auslandsaktivitäten, Innovation, F&E-Aktivitäten und strategisches Handeln. Die besonders in Krisenzeiten drängende Strategiearbeit splittet die Studie in die Handlungsfelder Nachhaltigkeit, Transformation sowie Fachkräftemangel und stellt sich bei Letzterem einer drängenden Frage: Was bestimmt den Fachkräftemangel eigentlich? Das Angebot auf dem Arbeitsmarkt oder die Nachfrage des Mittelstandes nach qualifizierten Fachkräften?
Eine Fachkraft spielt im Mittelfeld
Die Überlegung der Autoren ist schlüssig: Wenn es selbst für ein knappes Angebot an Fachkräften in bestimmten Berufsgruppen eine noch geringere Unternehmensnachfrage gibt, dann lässt sich aus Sicht der Arbeitsmarktökonomie nicht vom Fachkräftemangel reden. Außerdem gehört der Begriff Fachkraft ausdifferenziert. Die Experten unterscheiden deshalb zwischen den Anforderungsniveaus Helfer, Fachkraft, Spezialist und Experte.
Anstatt den Fachkräftemangel als Zustand über einen Kamm zu scheren, soll gezeigt werden, in welchen Berufen die Arbeitskraft wirklich fehlt. Dafür hat das Beratungsunternehmen mit dem IW aus Umfragedaten von 1.200 Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe und den unternehmensnahen Dienstleistungen die Fachkräfteampel entwickelt. Mit ihr lässt sich vorhersagen, wie sich das Arbeitsangebot in den kommenden Jahren verändern wird.
- Helfer: Einfache, wenig komplexe Routineaufgaben. Formale Bildungsabschlüsse sind keine Voraussetzung.
- Fachkraft: Komplexere und stärker fachlich ausgerichtete Tätigkeiten, als die Helfertätigkeit. Niveau wird durch zwei- bis dreijährige Berufsausbildung erreicht.
- Spezialisten: Deutlich komplexere als Tätigkeiten, mit Spezialkenntnissen und Fertigkeiten verbunden. Niveau wird durch Meister- oder Technikerausbildung oder Fachhochschul- oder Hochschulabschluss erreicht.
- Experten: Tätigkeiten mit hohem Komplexitätsgrad und hohem Kenntnis- und Fähigkeitsniveau. Mindestens vierjährige Hochschulausbildung und Berufserfahren erforderlich.
Bei Rot haben Fachkräfte die Wahl
Für die Fachkräfteampel wurden die Qualifikationsniveaus vom Helfer bis zum Experten in den 14 Berufshauptgruppen analysiert und zusätzlich Angebot mit Nachfrage verknüpft. Die Ampel schaltet auf Grün (Überkapazitäten), wenn das Arbeitsmarktangebot den Bedarf der Unternehmen übertrifft. Unternehmen haben die Auswahl und können sich die besten Kräfte sichern. Umgekehrt schlägt die Ampel Alarm und schaltet auf Rot (Engpass), wenn die hohe Nachfrage der Unternehmen nicht gedeckelt werden kann, weil es an qualifizierten Kräften mangelt. Es entsteht ein Markt, der sich zugunsten der Arbeitnehmer verschiebt.
Für andere Kombinationen, etwa ausgewogene Verhältnisse oder mittlere Werte, leuchtet die Ampel gelb. In deutschen Unternehmen, das zeigt die Auswertung der Unternehmensnachfrage, wird vor allem Personal auf mittlerem Qualifikationsniveau benötigt: 45 Prozent aller befragten Unternehmen suchen Mitarbeitende mit abgeschlossener Berufsausbildung (Fachkräfte). Spezialisten werden von 33 Prozent der Befragten gesucht. In den Randsegmenten ist der Bedarf eher gering. Gezielt nach Experten suchen 13,8 Prozent und nur 7,5 Prozent brauchen Helfer.
Hier werden Fachkräfte gesucht
Die Berufsfelder mit der stärksten Unternehmensnachfrage sind: Informatik-, Informations- und Kommunikationstechnologieberufe (9,7 Prozent) gefolgt von (Innen-) Ausbauberufen und Hoch- und Tiefbauberufen (je 6,3 Prozent) sowie Berufen aus den Bereichen Werbung, Marketing und Medien (6 Prozent). Und hier schaltet die Fachkräfteampel auf Rot (Nachfrage absteigend sortiert):
Berufsgruppe | Qualifikationsniveau |
Bau- und Ausbauberufe | Fachkraft |
Fertigungsberufe | Fachkraft |
IT- und Naturwissenschaftliche Dienstleistungsberufe | Experte |
Fertigungstechnische Berufe | Fachkraft |
IT- und Naturwissenschaftliche Dienstleistungsberufe | Spezialist |
Bau- und Ausbauberufe | Spezialist |
IT- und Naturwissenschaftliche Dienstleistungsberufe | Fachkraft |
Mit Employability gegen den Fachkräftemangel
Ein Arbeitnehmermarkt, so wie er sich in jenen Bereichen darstellt, in denen die Ampel auf Rot schaltet, signalisiert Fachkräften alternative Beschäftigungsmöglichkeiten bei Konkurrenzunternehmen. Es geht nun also darum, die Mitarbeiterbindung zu forcieren, Beschäftigte zu fördern und sich als attraktiver Arbeitgeber auf dem Markt zu positionieren. Zusammenfasst raten die Studienautoren dazu, dem Beispiel erfolgreicher Unternehmen zu folgen: investieren in die Arbeitgeberqualität, flexibles Arbeiten ermöglichen, glaubhafte Unternehmenswerte vorleben und eine offene Feedback- und Unternehmenskultur erlauben. Nicht zuletzt muss das Personalmanagement sich verstärkt mit den Themen Beschäftigungsfähigkeit (Employability) und Employee Experience beschäftigen.
Wie Organisationen Employability unterstützen (Seite 257):
- Transparenz
- Kurze und effiziente Informationskanäle und Entscheidungswege
- Handlungsspielräume
- Flexibilisierung von Arbeitszeiten
- Möglichkeit der Zusammenarbeit über die Grenzen der Fach- und Arbeitsgebiete hinweg
- Entscheidungsbefugnisse
- Flexibilisierung von Arbeitsorten
- Flexibilisierung von Arbeitsabläufen
- So viele Schnittstellen wie unbedingt erforderlich
- Gleichwertigkeit von informeller und formaler Struktur
Nachwuchs- und Fachkräftemangel werden künftig zur Tagesordnung gehören, schreiben die Springer-Autorinnen Jutta Rump und Silke Eilers. Sie gehen in ihrer Untersuchung von der Beobachtung aus, dass die Corona-Krise zu einer Polarisierung geführt hat. Zwar habe sich während der Krise der Arbeitsmarkt in bestimmten Bereichen von einem Arbeitnehmer- zu einem Arbeitgebermarkt entwickelt. In der neuen Normalität haben sich die Kräfte allerdings erneut verschoben und Unternehmen werden jetzt mit einem Spannungsfeld konfrontiert.
"In ein und demselben Betrieb werden in einigen Bereichen dringend Fachkräfte gesucht, während in anderen Bereichen harte Personalanpassungsprozesse notwendig sind" (Seite 7). Verursacher sind die demografische Entwicklung, die Entwicklung zur Wissens- und Innovationsgesellschaft sowie die Transformationstrilogie bestehend aus digitaler, ökologischer und ökonomischer Transformation. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung steige in der organisationalen Praxis die Bedeutung Employability-Management zu Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit.