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27.06.2019 | Organisationsentwicklung | Kolumne | Online-Artikel

Hört auf, New Work zu missbrauchen

verfasst von: Amel Lariani

5 Min. Lesedauer

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Größtmöglichste Flexibilität - das ist das Ziel von New Work. Was auf den ersten Blick vorteilhaft für Mitarbeiter klingt, hat seine Schattenseiten. Gastkolumnistin Amel Lariani hält den Zukunftstrend daher für eine große Beraterblase.​​​​​​​ Sie plädiert für die Rekultivierung des Miteinanders. 

"Ich habe mir Neue Arbeit anders vorgestellt, hier wird sehr viel über Führungstechniken und Organisationsfragen geredet, also darum, wie Unternehmen ihre Angestellten noch raffinierter domestizieren und ausbeuten können." 

Dies ist ein Zitat von Frithjof H. Bergmann, dem Philosophen und Begründer der New Work-Bewegung, der sich bereits vor 40 Jahren in der Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus damit befasst hat, welche Folgen das Arbeitslohnsystem für den Menschen haben wird. 

Empfehlung der Redaktion

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Standpunkt: Brave New Work

Wird die Technologie uns zu emotionslosen Arbeitssklaven machen oder wird sie uns helfen, ein besseres Leben führen zu können? In diesem Beitrag geht Nicole Brandes auf die Arbeit der Zukunft ein, vor allem aber auf den Arbeitenden der Zukunft und was ihn antreibt.


Resultierend aus dem wirtschaftlichen Selbstverständnis vom Mitarbeiter als reinem Produktionsfaktor, ist in den vergangenen 40 Jahren der relative Anteil psychischer Erkrankungen am Arbeitsunfähigkeitsgeschehen in Deutschland von zwei Prozent auf 16,6 Prozent gestiegen, so die aktuellen Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Die Folgen sind nicht nur für die Erkrankten und ihre Angehörigen, sondern auch für Unternehmen und die Volkswirtschaft beträchtlich. New Work hat also nicht nur positive Seiten.

Globalisierungs- und Digitalisierungsprozesse haben eine ganze Reihe an Vorteilen in der modernen Gesellschaft hervorgebracht, jedoch tragen sie ein erhöhtes Risiko menschlicher Überforderung und Entwurzelung in sich. Das geht mit veränderten Anforderungen in Beruf und Freizeit einher, die für viele Menschen zunehmend ein Problem darstellen. Die Beschleunigung ist ein Kernelement der Modernisierung, alles muss schneller und besser werden. 

Es ist sinnlos eine Wunde zu salben, solange der rostige Nagel drin steckt

Angesichts der komplexen Herausforderungen, vor denen wir in der Wirtschaft stehen, wächst der Bedarf an externer, professioneller Begleitung im Wandel. Das lockt immer mehr Berater und Coaches und solche, die es werden wollen, auf den Markt. Jeder will gefühlt einen Beitrag leisten und Unternehmen fit für die Zukunft machen.  

Doch wer noch nie geführt hat oder selbstständig unternehmerisch tätig war, wird der Aufgabe zukünftig nicht gerecht werden. Menschen verändern sich nicht über Wissen, sonst hätten wir nicht die aktuellen Probleme. Sie verändern sich über emotionalisierendes Erleben. Wer selbst kein Gefühl und eigene Erfahrungswerte zu seinen beratenden Themen hat, produziert nur heiße Luft. Wenn Worte nur leere Hülsen sind, um einen Mangel an Ideen oder im schlimmsten Fall mangelnde Kompetenzen zu überspielen, wird es für alle Beteiligten gefährlich. Der Anspruch an Beratung und Coaching hat sich gewandelt und wird sich noch weiter verändern. 

Ein Rennstall, der seine Pferde verheizt, hat langfristig keine Zukunft

Jedes Unternehmen hat andere Anforderungen, andere Kunden, andere Mitarbeiter und andere Strukturen. Jedoch verbindet sie alle ein gemeinsames Thema: die Menschen hinter dem abstrakten Begriff Unternehmen. Der Beruf ist ein Teil der Identität. Zudem verbringen Menschen sehr viel Zeit ihres Lebens in ihrem beruflichen Umfeld. Es gibt keinen geeigneteren Kontext, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Menschen gefördert und gefordert werden, sich weiterentwickeln und gerne einbringen wollen. Das erfordert ein komplettes Umdenken in Unternehmen unter Berücksichtigung der aktuellen Marktsituation.

Zugegebenermaßen noch ein langwieriger Prozess, je nach Größe und Bereitschaft des oberen Managements, den Prozess tatsächlich mitzutragen. Was es nicht bedeutet: Unter dem Deckmantel von New Work Mitarbeiter und Führungskräfte zu schulen, um noch leistungsfähiger und robuster zu werden. Vielmehr geht es um die Rekultivierung eines Miteinanders im beruflichen Umfeld, darum, gemeinsam zukunftsfähig zu sein. 

Das Ziel der Rekultivierung besteht darin, das ursprüngliche Miteinander wieder herzustellen, denn nicht die abstrakte Intelligenz, sondern ein ausgeprägter Gemeinschaftssinn war für die Evolution des Menschen entscheidend. Nur der Mensch ist in der Lage, Ideen mit anderen Gruppenmitgliedern auszutauschen und weiterzuentwickeln. Wenn wirtschaftliche, kommunikative und institutionelle Grenzen fallen, gewohnte Rollen und Rahmenbedingungen sich im Zuge von New Work auflösen, dann ist der Mensch auf sich selbst gestellt. Wir befinden uns sowohl gesellschaftlich, als auch wirtschaftlich in einem Prozess des Wandels, den keiner von uns alleine bewältigen kann.

Orientierung an den menschlichen Grundbedürfnissen

Es entspricht unserer sozialen Natur, nach menschlichen Kontakten, Zugehörigkeit, Spiegelung, Gemeinschaft und sozialer Anerkennung zu streben. Bindung ist der Wunsch nach emotionaler Nähe und Offenheit, autonom zu sein und sich gleichzeitig zugehörig zu fühlen. Während der eine es bevorzugt, zurückgezogen zu leben, braucht der andere regelmäßig soziale Kontakte. Unser Sozialverhalten hat seine evolutionär weitreichenden Wurzeln im Bindungsverhalten der Säugetiere. Die Triebfeder menschlichen Handelns liegt in dem Wunsch nach Erfüllung seiner zentralen Grundbedürfnisse. 

Damit diese Grundbedürfnisse nicht instrumentalisiert werden, mit dem Ziel, Gewinne zu maximieren, muss ein Umdenken im Unternehmen stattfinden. Den Bedürfnissen der Mitarbeiter ist auf dem Weg zur Zielerfüllung eine zentrale Bedeutung beizumessen. Es geht in Unternehmen immer um Ergebnisse, deswegen ist eine Bedürfnisorientierung nicht als romantische Vorstellung von Unternehmensführung zu verstehen. Es geht nicht um ein entweder oder, viel mehr um ein sowohl als auch. Langfristig erfolgreiche Unternehmen und Führungskräfte richten sich aufgabenzentriert und menschenorientiert aus.

Sie zeigen echtes Interesse für die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter, hinterfragen ihre Motive und fördern ihre Entwicklung. Arbeit schafft Identität und ist immer noch die in unserer Gesellschaft gängigste Art, um sich selbst wertig zu erleben. Führungskräfte, die das berücksichtigen, können über eine offene Feedbackkultur, die Würdigung der Mitarbeiterleistung und das Fördern von Potenzialen den Selbstwert ihrer Mitarbeiter stärken. Der positive Umgang mit Fehlern im Unternehmen und die Ermutigung als Führungshaltung führen über Zutrauen zu Selbstvertrauen. Selbstwert und Selbstvertrauen bilden sich aus Lern- und Erfahrungsprozessen.

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