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Erschienen in: Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO) 2/2023

Open Access 21.04.2023 | Hauptbeiträge - Thementeil

Organization not found: Ein organisationssoziologischer Blick auf die Digitalisierung als Verwaltungsreform

verfasst von: Lene Baumgart, M. A., Dr. Judith Muster

Erschienen in: Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO) | Ausgabe 2/2023

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Zusammenfassung

Der Beitrag in der Zeitschrift GIO beschäftigt sich mit der Frage nach den Schwierigkeiten von Digitalisierungsreformen in öffentlichen Verwaltungen. Der Blick wird dafür auf Verwaltungen als Organisationen gerichtet, deren formale Strukturen die Digitalisierungsreform erschweren, da steile Hierarchien und Dienstwegeregelungen mit netzwerkartigen Projektstrukturen konfligieren, agile Arbeitsweisen der Orientierung an rechtlich legitimierten Verfahren zuwiderlaufen und das Personal nicht mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet wird. Der organisationssensible Fokus erlaubt es, nicht nur die Probleme der Strukturen zu betrachten, sondern auch deren Funktionen für den Systembestand von Verwaltungen zu berücksichtigen. So wird gezeigt, dass etwa Dienstwegeregelungen demokratische Prozesse gewährleisten und Verantwortungsdiffusion verhindern, ihre Rechtsorientierung den Verwaltungen Legitimation und Autonomie verschafft und das Personal durch seine Regeleinhaltung funktionierende Verfahren und Objektivität gewährleistet. Diese Spannungsfelder berücksichtigend, wird daher der Vorschlag gemacht, in Reformen nicht nur ihre Optimierungsfunktion zu sehen, sondern sie als Werkzeug für ein besseres Verständnis der vorherrschenden Strukturen zu nutzen. Der Beitrag gibt abschließend Fragen an die Hand, wie man sich diesem Verständnis nähern kann.

1 Die Digitalisierung als Verwaltungsreform

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung nimmt Verwaltungsmodernisierung einen zentralen Stellenwert ein. Durch sie sollen die Verwaltungen „agiler und digitaler“ werden, auf „interdisziplinäre und kreative Problemlösungen“ setzen, das Silodenken überwinden und vermehrt „ressort- und behördenübergreifende agile Projektteams und Innovationseinheiten“ einsetzen (Deutsche Bundesregierung 2021, S. 9). Auch die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG), das in erster Linie für eine Optimierung der Interaktion zwischen Bürger:innen und der Verwaltung sorgen soll, erfordert neue Arten und Weisen der Zusammenarbeit, sowie Kooperationen über Ressortgrenzen und Verwaltungsebenen hinweg (OZG-Übersicht des BMI 2021). Schon diese Vorhaben zeigen, dass mit der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung weitreichende und tiefgreifende Hoffnungen verbunden werden und die Digitalisierung selbst als Reform des Verwaltungsapparats gerahmt wird (Bogumil und Jann 2020, 357 ff.; Mergel 2019, S. 163–165).
Gleichzeitig sehen wir: das OZG ist in seiner jetzigen Form bislang gescheitert (Kühn 2021, S. 2) und die E‑Akte, für die bereits 2013 das E‑Government-Gesetz erlassen wurde, ist bis dato nur „sequenziell in fünf Pilotbehörden“ eingeführt (Bundesverwaltungsamt 2020). Auch andere Reformbemühungen scheinen auf eine Reformresistenz oder -müdigkeit von Verwaltungen zu stoßen (Bogumil und Jann 2020, S. 368; Veit et al. 2019, S. 1). Gründe dafür werden etwa im Widerstand der Verwaltungsangestellten, den bürokratischen Verfahren oder im Föderalismus gesehen (Heuberger 2020). Unser Anliegen für den vorliegenden Beitrag ist es, den Blick auf Verwaltungen als Organisationen zu lenken, um zu verstehen, inwiefern es die für Verwaltungen typischen Organisationsdynamiken sind, die Verwaltungsreformen erschweren.1
Reformen – so Luhmann (2000, S. 336) – werden auf zwei Weisen in Organisationen getragen: Als Anpassung an Ideen oder als Anpassung an veränderte Realitäten. Bei Digitalisierungsreformen trifft beides zu. Nicht die Verwaltung selbst entscheidet über das Reformprogramm, sondern es kommt als Anforderung aus der Politik, die Prozesse flexibler und agiler sehen wollen. Zugleich setzt ihr Publikum im Alltag vermehrt auf digitale Lösungen und fordert zunehmend digitale Serviceleistungen der Verwaltungen (Libbe 2019, S. 575). Dieses Verständnis der Digitalisierung als Verwaltungsreform erlaubt es uns, all diejenigen Phänomene in Verwaltungsorganisationen zu berücksichtigen, die mit der Digitalisierung einhergehen. So wird die Digitalisierung von Organisationen fast selbstverständlich mit der Einführung postbürokratischer Arbeitsweisen gekoppelt (Muster und Büchner 2018, S. 272), unter denen etwa netzwerkartige Strukturen, flache Hierarchien, selbstorganisierte Teams und agile Arbeitsweisen verstanden werden können (Eckstein und Muster 2021, S. 649).
Bevor wir näher auf die Konfrontation bürokratischer und postbürokratischer Strukturen in Verwaltungen eingehen, werden wir uns zunächst anschauen, welche Gründe die Verwaltungswissenschaften für den Erfolg oder das Scheitern von Reformen benennen (2). Dort wird deutlich, dass die Spezifika von Verwaltungen als Organisationen nur unzureichend betrachtet werden. Wir werden daher anschließend die systemtheoretischen Grundlagen zu Organisationen und ihren Reformen nutzen, um Verwaltungen als Organisationen zu fassen (3). Darauf aufbauend können wir zeigen, dass es die Organisationsstrukturen von Verwaltungen sind, die sowohl ihre Digitalisierung als auch andere Reformvorhaben erschweren (4): Erstens behindern verwaltungsimmanente Hierarchien und Dienstwegeregelungen netzwerkartige Zusammenarbeit in Digitalisierungsprojekten, wenngleich Verantwortungsdiffusion dadurch verhindert wird (4.1). Zweitens erschwert die Orientierung am Recht agile Entscheidungsfindung, sorgt dabei jedoch für Autonomie und Legitimation (4.2). Drittens beharren die Verwaltungsmitglieder auf analogen Prozessen, doch gewährleisten damit Objektivität und Verfahrensdurchführung (4.3). Es ist der organisationssensible Blick, der es uns erlaubt, in diesen Strukturen nicht nur Hemmnisse für Reformen zu sehen, sondern auch zu verdeutlichen, was ihre Funktionen für den Systembestand sind. Wir schließen den Beitrag mit einem Vorschlag für einen anderen Zugang zu Reformen, mithilfe dessen Verwaltungen ihre Digitalisierungsvorhaben angehen können (5).

2 Error 404: Organization not found

Die Verwaltungswissenschaften (u. a. Kuhlmann und Wollmann 2013; Veit et al. 2019) haben sich intensiv mit Reform- und Modernisierungsversuchen von Verwaltungen beschäftigt und nach den Erfolgsfaktoren oder Gründen für das Scheitern von Reformen gefragt. In den Studien werden Reformen definiert als „zielgerichtete, geplante Umgestaltung bestimmter Elemente der öffentlichen Verwaltung“ und ihre diversen Anwendungsebenen beschrieben (Bogumil und Jann 2020, S. 290; Schridde 2019, S. 692; Veit et al. 2019, S. 2). Es werden die Makro-Ebene (das staatliche Verwaltungssystem), die Meso-Ebene (die Organisationsebene von Verwaltungen) und die Mikro-Ebene (Auswirkungen für Beschäftigte) berücksichtigt oder Reformen in verschiedenen „Bereichen“ untersucht (Veit et al. 2019, S. 4–5), sowie zwischen internen und externen Verwaltungsreformen unterschieden (Kuhlmann und Wollmann 2013).
Als Faktoren für den Erfolg von Reformen werden genannt: ein externer Problemdruck (Veit et al. 2019, S. 10), rechtliche Verpflichtungen oder Sanktionen bei scheiternder Implementierung (Kuhlmann und Wollmann 2013), realisierbare Reformziele sowie bewusstes Change Management (Veit et al. 2019, S. 11), einflussreiche Reformpromotor:innen (Schridde 2019, S. 696–698) oder eine Passfähigkeit zur jeweiligen Rechtstradition und Verwaltungskultur (Bogumil und Jann 2020, S. 369). Gründe, die zum Scheitern von Reformen führen, belaufen sich zum einen auf das Fehlen dieser Erfolgsfaktoren. Zum anderen werden „Globalkonzepte“ kritisiert, die Verwaltungsorganisationen undifferenziert übergestülpt werden (Bogumil und Jann 2020, S. 365), die fehlende Autonomie auf Bundes- und Landesebenen (Reichard 2019, S. 390), fehlende Kapazitäten und Kompetenzen der Organisationsmitglieder oder ein Mangel an richtiger Fehlerkultur (Mergel 2019, S. 166–167; Schridde 2019, S. 694–695). Besonders häufig werden auch stark ausgeprägte Beharrungskräfte (Bogumil und Jann 2020, S. 368–369) sowie Angst oder Unwillen der Mitarbeitenden (Lemke et al. 2021, S. 63) als Ursachen für Reformscheitern beschrieben.
Was die Digitalisierung als Reform betrifft, werden weitgehend ähnliche Bedingungen für einen erfolgreichen Wandel genannt (Heuberger 2020, S. 589), wobei die fehlende Standardisierung sowie Zentralisierung der informationstechnischen Ausstattung bemängelt werden (Bär et al. 2018; Steinbrecher 2020). Dieser Mangel wird auf den Föderalismus sowie damit einhergehende Koordinationsprobleme zurückgeführt (Bogumil und Jann 2020, S. 362). Andere Hemmnisse seien die fachliche und organisatorische Heterogenität der Verwaltung, politische Risiken oder die Gefahr öffentlicher Skandalisierung (Heuberger 2020, S. 590). Weitgehend übersehen werden die für Verwaltungen typischen Organisationsdynamiken, die auch die Digitalisierungsvorhaben erschweren (Brunsson 2005; Luhmann 2000). Im Gegensatz zu den Grundlagenwerken der Verwaltungswissenschaft (Bogumil und Jann 2020; Holtkamp 2012; Kuhlmann und Wollmann 2013; Seibel 2017; u. v. m.) nutzen wir daher das systemtheoretische Verständnis von Verwaltungen als Organisationen, die kollektiv bindende Entscheidungen für ihre Umwelten herstellen (Luhmann 1966, S. 14, 2021, S. 38). Auf die Implikationen dieser definitorischen Eingrenzung gehen wir im nächsten Kapitel ein.

3 Verwaltungen als Organisationen

Wenn wir von Verwaltungen als Organisationen sprechen, meinen wir damit soziale Systeme, die einen festen Stamm von Mitgliedern, Hierarchien und je eigene Zwecke aufweisen, über die sie entscheiden können (Kühl 2011, S. 21). Der Zweck von Verwaltungen ist die Produktion kollektiv bindender Entscheidungen für ihre Umwelt, die diese Entscheidungen als Prämissen eigenen Entscheidens und Handelns übernehmen muss (Luhmann 2020c, S. 31).2 Der Wandel von Organisationen bezieht sich immer auf ihre Formalstrukturen (Luhmann 2000, S. 331, 333)3, über die sie grundlegende Erwartungen an ihre Mitglieder fixieren können. Diese Erwartungen werden als „Entscheidungsprämissen“ in den Organisationen verankert und geben den Mitgliedern verbindliche Anhaltspunkte für deren Entscheidungen. Damit haben Entscheidungsprämissen einen regulativen Charakter (Luhmann 2000, S. 331).
In Organisationen kann man analytisch zwischen den drei Entscheidungsprämissen Kommunikationswege, Programme und Personal differenzieren (Luhmann 2000, S. 225). Kommunikationswege sind Entscheidungen über Hierarchien, das heißt darüber, wer mit wem wozu kommuniziert oder wer wem Anweisungen geben darf (Luhmann 2021, S. 168). Verwaltungsorganisationen haben in der Regel steile Hierarchien mit exakt festgelegten Weisungsbefugnissen, Mitzeichnungspflichten und Dienstwegen (Apelt und Männle 2023, S. 10; Kühl 2011, S. 106). Es ist vermerkt, wohin welches Dokument zur Durchsicht geliefert werden muss und dass die letzte Entscheidung bei der Führungskraft liegt (Bogumil und Jann 2020, S. 182). Kommunikationswege in Verwaltungen zeichnen sich zudem durch ein Ressortprinzip, Referate und eine Abteilungslogik aus, denen exakte Zuständigkeiten zugewiesen werden (Weber 2006, S. 219–222). Insbesondere das Ressortprinzip und die Dienstwegeregelungen werden als Hemmnis für Digitalisierungsvorhaben gesehen, da sie den netzwerkartigen Strukturen der Informationstechnik diametral gegenüberstehen oder zu viele „Veto-Spieler“ berücksichtigten, die sich gegen die Digitalisierungsinitiativen stellen könnten (Heuberger 2020, S. 596).4
Programme entscheiden über das Wie des Handelns. Sie können konditionalprogrammiert sein – auf die Bedingung A folgt die festgelegte Reaktion B (Luhmann 1966, S. 36, 2018, S. 73–74). Oder das Handeln kann nach Zwecken ausgerichtet sein, zu deren Erfüllung die Mittelwahl freigestellt ist. Sieht man von den auch zweckprogrammierten höheren Hierarchieebenen in Verwaltungen ab, werden Entscheidungen in Verwaltungen üblicherweise in konditionalen Wenn-Dann-Programmen getroffen, die sich an Gesetzen und rechtlichen Vorgaben orientieren (Luhmann 1966, S. 23). Die Umsetzung der Entscheidungen erfolgt in der Form des Verfahrens, das heißt am Recht orientiert, standardisiert, nachvollziehbar und wiederholbar (Richter 2012, S. 96). Themen, wie Datensicherheit und -schutz oder den Gesetzen enthaltene Ermessensspielräume oder unbestimmte Rechtsbegriffe machen die Digitalisierung und Automatisierung von Verwaltungsverfahren zu einer Herausforderung (Heuberger 2020, S. 595; Seckelmann 2021, S. 272).
Die Prämisse Personal entscheidet über Rekrutierung, Weiterentwicklung und Kündigung von Organisationsmitgliedern oder darüber, welche Profession für welche Stelle als passend erachtet wird (Luhmann 2000, S. 285–286). Entscheidungen über das Personal von Verwaltungen zeichnen sich durch das Prinzip des sogenannten „Berufsbeamtentums“ aus (Reichard 2019, S. 389). Es gibt konkrete Einstellungskriterien, ohne die man kaum Mitglied werden kann: nach wie vor sind Verwaltungen im höheren Dienst für ihr „Juristenmonopol“ bekannt (Apelt und Männle 2023, S. 11), während im einfachen und mittleren Dienst Beamt:innen oder Tarifbeschäftigte mit Verwaltungsschulausbildung arbeiten (Reichard und Röber 2019, S. 397). Zudem weisen Verwaltungen festgelegte Karrierewege und ein Laufbahnprinzip nach Amtsalter und Leistung auf (Reichard und Röber 2019, S. 397; Weber 2006, S. 219)5 sowie eine besondere „Unpersönlichkeit“ der Stellenbesetzungen (Luhmann 2010, S. 177). Gerade dem Personal wird eine große Rolle bei der Digitalisierung von Verwaltungsorganisationen zugesprochen, da deren Bereitschaft und Motivation entscheidend für einen erfolgreichen Organisationswandel seien (Heuberger 2020, S. 592). Deren „resistance to change“ (Wirtz et al. 2016, S. 1341–1344) sei maßgeblich verantwortlich dafür, dass an gewohnten und etablierten Arbeitsweisen festgehalten würde.
Wenn Organisationen sich wandeln sollen, müssen diese drei Entscheidungsprämissen angepasst und modifiziert werden (Luhmann 2000, S. 337). Doch die Kopplung zwischen einer solchen Restrukturierung und der tatsächlichen Veränderung darf nicht überschätzt werden (Luhmann 2000, S. 332–333). Organisationen sind keine trivialen Maschinen, in die man Befehle eingibt, deren Ergebnis exakt vorbestimmt ist (Luhmann 2000, S. 341). Es gibt keine feste Kausalbeziehung zwischen Entscheidungsprämisse und Entscheidung, zwischen Problem und Problemlösung, sodass Strukturen nicht zielsicher änderbar sind, bzw. eine Strukturveränderung auch unzählige unintendierte Nebenfolgen produzieren wird (Luhmann 2021, S. 23). Diese lose Kopplung ist unabdingbar für die Evolutionsfähigkeit von Organisationen, stellt für gezielte Reformvorhaben aber eine Herausforderung dar (Luhmann 2000, S. 354).
Der genuine Charakter von Reformen ist, dass sie den aktuellen Zustand von Organisationen bemängeln und Verbesserung in der Zukunft prophezeien – sofern ihre Prinzipien korrekt eingeführt und umgesetzt werden (Brunsson 2005; Luhmann 2020b, S. 200). Dabei werden sie entweder als Anpassung an kursierende Ideen markiert oder als Anpassung an veränderte Realitäten (Luhmann 2000, S. 336). Oft sind die Reformen mit Nebenzielen oder Zusatzargumenten ausgestattet (etwa, dass es für eine funktionierende Digitalisierung agile Arbeitsweisen brauche) oder beinhalten gut gemeinte Ideen (Luhmann 2000, S. 336).
Da Reformen ihre Versprechen jedoch häufig nicht einhalten und die geäußerten Ambitionen verfehlt werden (Jantz und Veit 2019, S. 519), wird auf die Probleme der gegenwärtigen Reform mit den Lösungsvorschlägen einer anderen Reform geantwortet (Brunsson 2005). Das wird besonders deutlich, wenn man die systematischen Auflistungen der verschiedenen Reformunternehmungen öffentlicher Verwaltungen seit den 1960er-Jahren betrachtet (etwa bei Bogumil und Jann 2020, S. 290–366; Seibel 2017, S. 152–166; oder Veit et al. 2019, die dem Thema einen Sammelband gewidmet haben). Doch auch in Organisationen wurde erkannt, dass sie sich wegen konstant bleibender Erwartungen aus ihren Umwelten und einer erforderlichen Wiedererkennbarkeit nicht ständig Wechseln unterziehen können (Luhmann 2000, S. 344). In Verwaltungsorganisationen sind ihre formalen Entscheidungsprämissen dafür ausschlaggebend, dass sie eine gewisse Immunität gegenüber neuen Modernisierungsreformen haben. Im nächsten Kapitel möchten wir die Abwehrfunktionen dieser Strukturen darstellen und dadurch die Schwierigkeiten von Verwaltungsreformen verdeutlichen.

4 Warum Verwaltungsreformen so schwerfallen

Wenn von Reformvorhaben in Verwaltungen gesprochen wird, wird damit die Veränderung ihrer formalen Entscheidungsprämissen impliziert. Auf den folgenden Seiten führen wir aus, inwiefern die spezifischen Entscheidungsprämissen von Verwaltungen deren Wandel erschweren, aber auch, wieso sie dennoch funktional für deren Bestehen sind.

4.1 Kommunikationswege – Hierarchie vs. Netzwerkstruktur

Die oben benannten Kommunikationswegeregelungen erschweren Reformvorhaben, da sich ein Großteil der Verantwortung auf den oberen Führungsrängen konzentriert und diese daher überstrapaziert werden. Das kann ihrerseits zu einem höheren Kontrollbedürfnis führen oder dazu, dass Mitglieder niedrigerer Hierarchieebenen folglich Verantwortlichkeiten von sich weisen (Apelt und Männle 2023, S. 10; Luhmann 2000, S. 281). Ressortprinzip und Abteilungslogik sowie die je eigenen lokalen Rationalitäten (Wehrsig und Tacke 1992, S. 223) erschweren eine Abkehr vom Silodenken, die gerade im Zuge der in den Digitalisierungsvorhaben verankerten agilen Arbeitsweisen gefordert wird (Deutsche Bundesregierung 2021, S. 9). Mitzeichnungspflichten sehen diese abteilungsübergreifende Zusammenarbeit sogar formal vor, denn jeder Vorschlag muss allen beteiligten Stellen für deren Einverständnis zugeleitet werden, bevor eine finale Entscheidung gefällt werden kann (Bogumil und Jann 2020, S. 182). Gerade bei größeren Planungsvorhaben müssen alle „Träger öffentlicher Belange“ einbezogen werden, um Benachteiligungen und Willkür auszuschließen sowie Nachvollziehbarkeit und Legitimität zu gewährleisten (Jantz und Veit 2019, S. 510–511). Dadurch wird sichergestellt, dass sich am Ende einer Entscheidung niemand seiner Verantwortung entledigen kann (Bogumil und Jann 2020, S. 182). Abteilungsübergreifende Zusammenarbeit ist also strukturell verankert, löst aber lange Bearbeitungszeiten aus.
Hierarchiefreie „Digitalisierungslabore“ etwa, an denen sich alle betroffenen Akteure beteiligen können (Martini und Wiesner 2019, S. 648), sollen solch langwierige und bürokratische Verfahren ersetzen, denn netzwerkartig organisierte Zusammenarbeit in digitalen Projekten wird als vereinfachend und beschleunigend wahrgenommen (Heuberger 2020, S. 596). Und doch bleibt bisher ungeklärt, wie einerseits die oben genannten Funktionen erfüllt werden sollen und zugleich die positiven Effekte digitaler Technologien genutzt werden können. Bei den Digitalisierungsreformen wird übersehen, dass gerade Deregulierungen und Entbürokratisierungen nicht zu einer Reduktion von Regelungen geführt haben (Jantz und Veit 2019, S. 513) oder die Automatisierung von Verfahren in erster Linie eine Formalisierung hervorruft (Büchner 2018, S. 336; Luhmann 1966, S. 49). Zudem wird bei den Forderungen nach hierarchiefreier Selbstorganisation oft vergessen, dass Hierarchien und Entscheidungsmandate einen beschleunigenden Effekt haben (Eckstein und Muster 2021, S. 654). Das wird gerade in Gegenüberstellung mit selbstorganisierten demokratischen Entscheidungsprozessen deutlich, in denen so lange verhandelt wird, bis es keine Einwände mehr gibt.
Organisationen haben nicht nur nach innen gerichtete, sondern auch nach außen gerichtete Kommunikationswege. Jede Organisation ist Teil einer Umwelt, zu der sie mittels explizit dafür eingerichteter Grenzstellen in Kontakt steht (Luhmann 1999, 220 ff.). Verwaltungsorganisationen berühren drei Umwelten, zu denen sie in differenzierten Verhältnissen stehen: Ihr Publikum als die Zivilgesellschaft, für die sie Entscheidungen trifft (Luhmann 1966, S. 22); die Politik, die ihr wiederum Entscheidungen auferlegt (Luhmann 2021, S. 147); und zuletzt ihr eigenes Personal, das ebenfalls eigene Interessen hat und Erwartungen an die Organisation stellt (Luhmann 2021, S. 164). Verwaltungen sind darauf angewiesen, eine Balance zwischen diesen Umwelteinflüssen herzustellen und sich in keine Richtung primär zu orientieren.
Diese Mehrgrenzenproblematik führt einerseits zu einer Komplexitätssteigerung für Verwaltungen, andererseits erlaubt ihnen diese Differenzierung auf widersprüchliche Anforderungen mit je eigenen Antworten zu reagieren und die Umwelten unterschiedlich zu behandeln (Luhmann 2021, S. 108–109). Gerade die Tatsache, dass Verwaltungen von drei Umwelten abhängen, verschafft ihnen Autonomie gegenüber jeder einzelnen (Luhmann 2010, S. 174). So können weder die Politik noch ihr Publikum vollständig darüber entscheiden, nach welchen Kriterien die Verwaltungen entscheiden oder welche Dienstleistung digitalisiert wird (Seibel 2017, S. 110). Zudem hängt es auch nicht nur am Personal der Verwaltung, ob es digitale Technologien nutzt oder Kompetenzen im Umgang damit erwirbt. Neben dieser Umweltdifferenzierung ist die Rechtsorientierung von Verwaltungen eine Struktur, die ihr Autonomie verschafft. Dieser Punkt wird im nächsten Kapitel ausgeführt.

4.2 Programme – Legitimation durch Verfahren vs. Design Thinking

Ihre konditionalprogrammierte Orientierung am Recht und an der legitimierenden Ausführung von Verfahren lässt Verwaltungen für ihre Umwelten als verkrustet, träge und hyperbürokratisch erscheinen. Doch gerade dadurch gewinnt die öffentliche Verwaltung dem Publikum, der Politik und ihrem Personal gegenüber an Autonomie, da rechtlich korrekte Entscheidungen von ihren Umwelten nur schwerlich angezweifelt werden können (Luhmann 1966, S. 34).6
Konditionalprogramme kennzeichnen sich dadurch, dass sie auf Einzelfälle nicht individuell reagieren können, was wiederum die Funktion hat, unpersönliche Entscheidungen zu gewährleisten (Apelt und Männle 2023, S. 8; Seibel 2017, S. 78). Doch auch sie haben einen Gestaltungsrahmen – man denke an Ermessensspielräume, unbestimmte Rechtsbegriffe oder die Verknüpfung mit Zweckprogrammen (Apelt und Männle 2023, S. 9; Boos et al. 2023; Luhmann 1966, S. 39). Die Ermessensspielräume etwa sind das, was in der Diskussion um die Digitalisierung von Verwaltungsakten als die größte Schwierigkeit angesehen wird, da es sich beim Ermessen um Entscheidungssituationen handelt, bei der die entscheidende Person aus mehr als nur einer Handlungsalternative wählen kann (Blumröder und Breiter 2020, S. 451–452). Damit haben auch Entscheider:innen auf Sachbearbeitungsebene einen Gestaltungsmoment – der immer demokratisch und rechtlich legitimiert sein muss (Seckelmann 2021, S. 271).
Verwaltungen wirken träge, da ihre Programmanwendungen und Verfahrensausführungen Zeit benötigen. Je komplexer die Anfragen, je mehr Personen und Abteilungen involviert sind, desto länger dauert in der Regel ein Entscheidungsvorgang. Auch die Annahme, digitale Verfahren sparten Zeit oder führten zu Rationalisierungsgewinnen, konnte inzwischen mehrfach widerlegt werden (Muster und Büchner 2018, S. 263; Pfeiffer 2015, S. 25). Verwaltungen haben daher in einem gewissen Umfang die Möglichkeit, manchem Zeitdruck entweder mit der Beschleunigung oder mit einer Verlangsamung ihres Arbeitstempos auszuweichen (Luhmann 2010, S. 187). Die ihr zu Verfügung stehende Autonomie gegenüber ihren Umwelten, verschafft ihr diese Zeit, um richtig zu entscheiden und als soziales System nicht zu zerfallen (Luhmann 2021, S. 56).
Die Orientierung am Recht und an der Ausführung von legitimierenden Konditionalprogrammen erschwert die Implementierung von modernen Managementkonzepten oder Digitalisierungsvorhaben, die häufig auf Zweckprogramme ausgelegt sind. Wenn Verwaltungsmitglieder sich mithilfe von „Design Thinking“ selbstorganisiert überlegen sollen, wie das OZG umgesetzt wird, dabei alle Eventualitäten bedenken müssen, weil Vorhaben sonst vom Bundesverfassungsgericht gekippt werden (Mehde 2019, S. 104), treffen zwei konfligierende Programmstrukturen aufeinander.

4.3 Personal – Beamtentum vs. Software Developer

Die Unpersönlichkeit von Verwaltungsangestellten wird vom Publikum häufig als Überheblichkeit oder Desinteresse interpretiert (Apelt und Männle 2023, S. 11), doch sie gewährleistet einerseits objektive Entscheidungen und entlastet die Angestellten andererseits von unangenehmen Entscheidungen, was etwa bei der Ablehnung von Sozialleistungen nicht zu unterschätzen ist (Luhmann 1999, S. 226). Sie muss insofern „bürgerfreundlich“ sein, als dass sie die Belange von Bürger:innen ernst nimmt und sie dann so klärt, dass diese auch nachteilige Entscheidungen akzeptieren können (Seibel 2017, S. 78). Die Unpersönlichkeit ihrer Stellenbesetzungen und die vorgezeichneten Aufstiegschancen in regelmäßigen Abständen sind ein Motivationsmittel, mit dem hierarchiefreie Start-ups nicht werben können.
Oft werden Reformresistenzen und Digitalisierungsprobleme den persönlichen Eigenschaften oder Widerstandskräften von Organisationsmitgliedern zugewiesen (Heuberger 2020, S. 594; Schridde 2019, S. 694).7 Sie seien zu faul, zu ehrgeizig, zu inkompetent oder hätten das falsche Mindset (Luhmann 2016, S. 22, 2021, 185 ff.). Mit Sicherheit spielen die Beharrungskräfte oder fehlenden Kompetenzen der Mitglieder eine entscheidende Rolle bei der Verwaltungsdigitalisierung, doch in der Regel sind die Verhaltensweisen des Personals eine Reaktion auf die vorherrschenden Verhältnisse in den Organisationen (Luhmann 2016, S. 22). Das heißt, gerade in vollausgebauten und durchreglementierten Bürokratien werden die Organisationsmitglieder von persönlichen Zurechnungen und Verantwortlichkeiten entlastet, da ihre Regeleinhaltung als höchstes Qualitätsmerkmal für korrektes Verwaltungshandeln gilt (Walter 2011, S. 74). In der Digitalisierungsdebatte wird häufig vergessen, dass nur die Bereitstellung von digitalen Technologien in einer nutzbaren Form einen Einfluss auf die Arbeit von Verwaltungsmitgliedern hat (Heuberger 2020, S. 595). Wenn also digitale Prozesse kein Äquivalent zum zwar langwierigen, dafür aber funktionierenden analogen Prozess darstellen, weil sie nicht zuverlässig ausführbar sind, kann Verwaltungsangestellten nur schwerlich ein Vorwurf gemacht werden.
Hinzu kommt, dass es in Folge mehrerer Personalreformen und Finanzierungskrisen einen starken Personalabbau (Reichard 2019, S. 388) gab, der nun im Zusammenspiel mit dem demografischen Wandel einerseits zu einem erheblichen Personalmangel an sich führt und andererseits zum Fehlen von Qualifikationen und Kompetenzen, die gerade im Zuge von Modernisierungs- und Digitalisierungsbemühungen zwingend gefragt sind (Reichard und Röber 2019, S. 401). Insbesondere mangelt es an Informatiker:innen und an Personal, das die Angestellten in die Nutzung digitaler Technologien einführt und dabei unterstützt (Heuberger 2020, S. 594–595). Dieser Personalmangel, fehlende Anreizstrukturen sowie die strenge Fokussierung auf die alten Professionen und Funktionen erschweren den Wandel von Verwaltungsorganisationen.

5 Wie sich Verwaltungsreformen lohnen können

Der vorliegende Beitrag soll deutlich gemacht haben: die formal entschiedenen Entscheidungsprämissen von Verwaltungen bedeuten eine große Herausforderung für den Wandel von Verwaltungen. Zugleich sind sie funktional für deren Bestehen in sich stetig wandelnden Umwelten. Es bleibt die Frage danach offen, wie Digitalisierungsreformen in Verwaltungen stattdessen bewältigt werden können. Der Vorschlag der Systemtheorie ist es, die Funktion von Reformen nicht (nur) in der Optimierung oder Anpassung bestehender Strukturen zu sehen. Stattdessen können sie als Werkzeug genutzt werden, um verschiedene Interessen aus der Latenz zu holen und damit ein besseres Verständnis der Realität zu gewinnen (Luhmann 2000, S. 336–337). Verwaltungen müssen verstehen, nach welchen Prämissen entschieden wird, welche „eingefrorenen“ Lösungen für Probleme genutzt werden, um diese dann auf andere funktional äquivalente und digitale Möglichkeiten neu zu durchdenken (Luhmann 2020c, S. 53–54). Dabei darf nicht unterschätzt werden, dass jede Struktur mit je eigenen Folgeproblemen einhergeht und sich die Komplexität dessen potenziert, was es bei einer Veränderung zu beachten gilt (Luhmann 2021, S. 23). Wir möchten hier dennoch ein paar Prüffragen für jede der drei Entscheidungsprämissen an die Hand geben, mithilfe derer die Digitalisierung von Verwaltungshandeln vorgedacht werden kann:
1.
Wo ist es sinnvoll, Entscheidungen von den Stellen treffen zu lassen, die die meisten Informationen zu einem Thema besitzen und an welchen Stellen braucht es die Entscheidung der Hierarchie? Für welche Entscheidungsprozesse empfehlen sich gleichberechtigte Teamstrukturen und wann ist eine arbeitsteilige und nach Kompetenzen und Phasen gegliederte Organisation effizienter? Welche Kommunikationswege (auch an den Grenzen von Verwaltungen) könnten gänzlich automatisiert und von Maschinen ersetzt werden?
 
2.
Welcher Voraussetzungen bedarf es für die Durchführung eines Verfahrens und der finalen Entscheidungsfindung? Wo braucht es Lernfähigkeit oder die Berücksichtigung von Ermessensspielräumen oder unbestimmten Rechtsbegriffen? Ließen sich all diejenigen Verfahren automatisieren, die eben nicht zweideutig sondern eindeutig sind?
 
3.
Welche (anderen) Ausbildungen, Weiterbildungen und Qualifikationen sind erforderlich für die aus der Digitalisierung resultierenden Anforderungen? Wie viel und welches Personal braucht es? Welche Anreizstrukturen und Motivationsmittel können genutzt und verbessert werden, um das für die Digitalisierung notwendige Personal zu gewinnen und zu halten?
 
Für Reformen gelten dann zwei Voraussetzungen: Um ein vollständiges Bild zu erhalten, müssen die drei Entscheidungsprämissen immer in Beziehung zueinander sowie zur Umwelt des Systems gesetzt werden (Luhmann 2020c, S. 45). Die zweite Voraussetzung ist die Entscheidungsautonomie von Verwaltungsorganisationen über ihre Entscheidungsprämissen (Luhmann 2020c, S. 57). Doch gerade diese Bedingung würde die ganz grundlegende Reform voraussetzen, die öffentliche Verwaltung in ihrer politischen wie gesellschaftlichen Umwelt zu stärken und ihnen Entscheidungsmacht über ihre Entscheidungsprämissen zuzugestehen (Luhmann 2020a, S. 295). Eine nicht ganz unumstrittene Forderung, wo gerade im Zuge der Digitalisierungsdebatte eine stärkere Zentralisierung und Standardisierung propagiert wird.
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Fußnoten
1
Unsere organisationssoziologische Perspektive soll als Ergänzung zum organisationspsychologischen Fokus dieser Zeitschrift dienen. Der Vorzug dieser Sichtweise ist es, dass Systemstrukturen, deren Abhängigkeiten und Wechselwirkungen fokussiert werden (so ähnlich Schwarting 2017, S. 385). Damit wird der Blick weg von dem Verhalten und den Einzelhandlungen der Organisationsmitglieder hin zu den Verhältnissen in der Organisation gelenkt. Dabei soll weder die Wichtigkeit organisationspsychologischer Studien über Verwaltungsentwicklungen geschmälert (als eindrucksvolle Beispiele siehe etwa Gasch et al. 1998 oder Riesenkönig 2000) noch verkannt werden, dass auch die Organisationspsychologie Organisationen und deren spezifischen Strukturen in den Blick nimmt (siehe etwa Weinert 1998).
 
2
Wir beschränken uns in diesem Beitrag auf das deutsche bzw. kontinentaleuropäische föderalistische Verwaltungssystem (Kuhlmann 2019, S. 43–44).
 
3
Auch wenn nicht selten die „Kultur“ von Organisationen gezielt reformiert werden soll. Dies geschieht häufig nur in Werteformulierungen, die bereits dadurch entlarvt werden können, dass sie nicht verneint werden können. Das gilt auch für Reformen, gegen die man sich nur schwer bekennen kann (Luhmann 2020b, S. 200).
 
4
An dieser Stelle ist die Sichtweise auf die Folgeprobleme und Schwierigkeiten der Verwaltungsstrukturen beschränkt. In den Kapitel 4.1 bis 4.3 gehen wir auf deren Funktionen ein und darauf, inwiefern sie der Organisation nützen.
 
5
Wobei diese Beschreibungen nur noch teilweise zutreffen: Im Zuge der Annäherung an das Personalmanagement des Wirtschaftssystems wurden vermehrt Privilegien öffentlich Beschäftigter abgebaut oder das Laufbahnsystem dereguliert (Reichard 2019, S. 389).
 
6
Dem Argument des Autonomiegewinns durch die Rechtsorientierung mag man gegenüberstellen, dass dies genauso auch einen Autonomieverlust nach sich zieht – die Verwaltung kann eben nicht unabhängig handeln, sondern muss sich nach (veralteten) Gesetzen richten. Ihre Entscheidungen müssen für ihre Umwelten nachvollziehbar sein, sodass Verwaltungsgerichte überprüfen können, ob rechtmäßig entschieden wurde (Apelt und Männle 2023, S. 9).
 
7
Widerstände gegen Wandel – so Schridde (2019, S. 694) – äußern sich etwa aktiv und offen oder passiv und verdeckt in Form expliziter und teils aggressiver Ablehnung, erhöhten Krankheitsraten, Dienst nach Vorschrift oder innerer Kündigung.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Organization not found: Ein organisationssoziologischer Blick auf die Digitalisierung als Verwaltungsreform
verfasst von
Lene Baumgart, M. A.
Dr. Judith Muster
Publikationsdatum
21.04.2023
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
DOI
https://doi.org/10.1007/s11612-023-00681-w

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